Überlebensentscheidungen

Unter Lebensentscheidungen versteht man gemeinhin wichtige Entscheide, die man für sich selber trifft. Noch wichtiger sind jene Entscheide, welche andere treffen – und die über Leben und Tod bestimmen.

Am 2. Juni 2002 wurde eine solche Überlebensentscheidung getroffen. Mit über 72% beschloss das Volk an der Urne, der Fristen“lösung“ zuzustimmen. Damit wurde der Entscheid über Leben oder Tod eines Kindes in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen in den alleinigen Entscheidungsbereich der Mutter gelegt. Sie muss lediglich eine Erklärung unterschreiben, dass sie sich in einer Notlage befindet, den Schwangerschaftsabbruch wünscht und die gesetzlich vorgeschriebene Beratung durch den (behandelnden) Arzt erhalten hat. 

In Kraft trat diese Fristenregelung auf den 1. Oktober 2002 und rund 130’000 ungeborene Menschen wurden seither in unserem Land im Mutterleib umgebracht – mit allem Schmerz, nicht zuletzt oft für die betroffene Mutter.

Leben oder Tod

Am 5. Juni 2016 steht an der Urne erneut ein schwerer Schicksalsentscheid an. Diesmal geht es um die Revision des Fortpflanzungsmedizingesetztes – oder genauer gesagt: die Präimplantationsdiagnostik. Konkret werden dabei bei der künstlichen Befruchtung Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf Gendefekte untersucht und gegebenenfalls eliminiert. Behinderte Menschen verlieren damit ihre Lebenschance.

Beim Schwangerschaftsabbruch ist es die Mutter, welche den Entscheid über Leben und Tod des Kindes trifft. Es stimmt: oft ist sie dabei beeinflusst vom Partner, von Eltern oder Bekannten. Aber trotzdem ist es letztlich sie, die es mit sich selber ausmachen muss, und die entscheidet. Auch ist es richtig, dass bereits heute – auch bei regulären Schwangerschaften – im Rahmen der Pränataldiagnostik (nicht Präimplantationsdiagnostik) nicht invasive Tests (PrenDia-, Panorama- oder PraenaTest) durchgeführt werden und bei Anzeigen eines Gendefekts (Down-Syndrom, Edwards-Syndrom, usw.) abgetrieben wird. Die Auswirkungen sind auch hier ein Tötungsentscheid.

Übergang zum industriellen Vernichtungsprozess

Im Unterschied zu diesen Abtreibungsentscheiden der Mutter geht die Primplantations-diagnostik aber noch ein Stück weiter: Dort ist es nicht mehr die Mutter, sondern ein Techniker oder eine Laborantin, die den Entscheid trifft, ob der Embryo in den Mutterleib eingepflanzt oder „entsorgt“ wird. Die vorgeburtliche Identifizierung und Liquidierung behinderter Menschen wird damit vom individuellen Entscheid der Mutter abstrahiert, gewissermassen neutralisiert und einem industriellen Vernichtungsprozess unterworfen.

Letzten Sommer hatten wir eine Interessante Diskussion, ob in der Schweiz Abtreibungen aufgrund des Geschlechts verboten werden sollten. Bluttests ermöglichen es heute, das Geschlecht des Embryos innerhalb der Frist für eine legale Abtreiburr�(q �jhr r@ rätin Pascale Bruderer (SP/AG) hin verbieten, dass Frauen ein Kind nur wegen seines Geschlechts abtreiben. Gegen ein solches Verbot wehren sich andere linke Politikerinnen, wie etwa Anne-Marie Rey, die Initiantin der geltenden Fristenregelung. Im Tages Anzeiger vom 17. Juli 2015 verteidigte sie vehement das Recht, ein Kind allein wegen dessen Geschlecht abtreiben zu dürfen. Insbesondere meinte sie, mit einem entsprechenden Verbot werde wieder zwischen gerechtfertigten und ungerechtfertigten Schwangerschaftsabbrüchen unterschieden und damit die Abtreibungsdebatte neu lanciert. 

Frau Rey ist zu entgegnen: Der Staat wird nach Zulassung der Präimplantationsdiagnostik mit der Zeit ohnehin nicht mehr umhinkommen, gesetzlich zu regeln, welches behinderte Leben vernichtet werden soll und wer überleben darf. Und zwar wird dies nicht nur für die Primplantationsdiagnostik, sondern auch für die Pränataldiagnostik gelten. Der Staat wird die Fälle regeln müssen, in welchen abzutreiben ist, und in welchen nicht.

Nach der Verfassungsänderung noch ein Gesetz nötig

Am 14. Juni 2015 haben die Stimmbürgerinnen und -bürger bereits einen ersten Entscheid über die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik getroffen und leider einer entsprechenden Verfassungsänderung zugestimmt. Nötig ist nun noch ein Ausführungsgesetz – und dieses PID-Gesetz (revidiertes Gesetz über die Fortpflanzungsmedizin) kommt am 5. Juni 2016 zur Abstimmung. Das Gesetz wird festlegen, ob die Präimplantationsdiagnostik auf wenige Fälle beschränkt bleiben soll, oder ob sie flächendeckend bei allen Embryonen zum Einsatz kommt. Vor allem die Behindertenorganisationen wären jetzt zu einem Grosseinsatz gefordert – scheinen sich aber kaum zu regen…

Viele Stimmbürgerinen und Stimmbürger waren sich im vergangenen Juni der Tragweite des Urnenentscheides nicht bewusst. Die erneute, zweite Volksabstimmung vom 5. Juni 2016 wird nun ausschlaggebend sein, wie weit die Selektion beim künstlich gezeugten, ungeborenen Leben gehen darf. Für den Lebensschutz ist es die letzte Möglichkeit, die Notbremse zu ziehen. 

Celsa Brunner

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