Präimplantationsdiagnostik: Dammbruch im Nationalrat

In seiner Sommersession von anfangs Juni befasste sich der Nationalrat mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) und will ein flächendeckendes Screening von Behinderungen zulassen. Dies käme einem eigentlichen Dammbruch gleich.
Bei der PID werden künstlich erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf Abnormitäten untersucht und gegebenenfalls „liquidiert“. Konkret wird geprüft, ob es im embryonalen Erbgut fehlende oder überzählige Chromosomen gibt (sogenannte Aneuploidien). Bei diesen Aneuploidie-Screenings geht es primär um das Aufdecken von Trisomie 21 (Down Syndrom), aber auch Trisomie 13 (Pätau-Syndrom) oder Trisomie 18 (Edwards-Syndrom). Kinder mit Down-Syndrom haben damit praktisch keine Chance mehr. In der Schweiz ist die PID seit Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) von 2001 verboten. Mit einer Revision des FMedG soll sich das nun ändern. Ständerat relativ zurückhaltendIn der Frühjahrsession hatte als Erstrat der Ständerat das Thema behandelt (vgl. Jufa April 2014) und war weitgehend den (relativ) restriktiven Anträgen des Bundesrates gefolgt: Es gehe darum, dem Zeitgeist Widerstand zu leisten, der ein Recht auf ein gesundes Kind stipuliere. Mehrere Votanten warnten vor einer Stigmatisierung der Eltern, wenn sie künftig noch behinderte Kinder bekämen. Schliesslich war der Ständerat der Meinung, dass man sich dem „Fortschritt“ zwar nicht verschliessen könne, den Ärzten aber Grenzen setzen müsse. Eine dieser Grenzen lautete, die Präimplantationsdiagnostik auf Fälle schwerster Erbkrankheiten zu beschränken. Konkret wurde mit 50-100 Fällen jährlich gerechnet. Zudem wollte der Rat, dass pro PID-Behandlungszyklus höchstens acht Embryonen entwickelt werden dürften und erst recht keine Chance hatte der Vorschlag, sogenannte Retterbabys zuzulassen. Retter- oder „Design-Babys“ werden im Labor durch In-vitro-Fertilisation gezeugt und anschliessend mittels Präimplantationsdiagnostik jene Embryonen selektioniert, die als Zellspender für kranke Geschwister infrage kommen. Wissenschaftskommission auf AbwegenIn Vorbereitung der folgenden Session des Nationalrats befasste sich daraufhin Mitte Mai die Wissenschaftskommission (WBK) mit dem Thema. Sie wollte nun viel weiter gehen als die Beschlüsse des Ständerats und eine knappe Kommissionsmehrheit wollte sogar Retterbabys erlauben. Zudem sollte die PID für alle Fälle von künstlicher Befruchtung geöffnet werden, d.h. bis zu 6’000 Anwendungsfälle pro Jahr. Auch die Obergrenze für in vitro gezeugte Embryonen sollte gestrichen werden. Statt der Achter-Regel soll die Zahl den Ärzten überlassen werden.Dammbruch im NationalratAm 3. Juni folgte nun das Plenum des Nationalrats – mit Ausnahme der Retterbabys – weitestgehend den Empfehlungen der vorbereitenden WBK. Nichteintretensanträge wurden mit 157 zu 22 Stimmen bei 6 Enthaltungen wuchtig abgelehnt. Das bisherige Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) soll damit vollständig fallen und alle Embryonen, die im Zuge einer künstlichen Befruchtung gezeugt wurden, sollen vor der Einpflanzung in den Mutterleib untersucht werden dürfen. Erlaubt würde damit (mit 119 zu 65 Stimmen bei 6 Enthaltungen) auch das Aneuploidie-Screening: Diese Tests sollen sämtlichen Paaren zur Verfügung stehen, die eine künstliche Befruchtung durchführen. Ebenfalls anders als der Ständerat entschied der Nationalrat in der Frage, wie viele Embryonen während eines Behandlungszyklus ausserhalb des Körpers der Frau entwickelt werden dürfen. Auch hier folgte der Rat der Empfehlung der WBK und sprach sich gegen jede zahlenmässige Beschränkung aus. Appell an den Ständerat!Das FMedG geht jetzt zur Differenzbereinigung zurück in den Ständerat. Es bleibt zu hoffen, dass in der „Chambre de Reflexion“ die Achtung vor dem menschlichen Leben nicht völlig der utilitaristisch-liberalen Haltung weicht, wie sie im Nationalrat sichtbar wurde. Da die Einführung der PID eine Verfassungsänderung (Art. 119 BV) notwendig macht, wird die ganze Frage obligatorisch auch vors Volk kommen. Gegen das revidierte FMedG jedoch müsste das Referendum ergriffen werden. Hoffen wir, dass der Ständerat schon vorher die Notbremse zieht und ungeborene, behinderte Menschen nicht zum völligen Liquidierung freigegeben werden!                                                                                                                                          Celsa Brunner

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