Kultur des Todes

Die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat kürzlich ihre Richtlinien zur Suizidhilfe revidiert. Damit wächst der Druck auf die Ärzte zur Suizidbeihilfe – selbst bei Nichtkranken!.

Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die Suizidbeihilfe erlauben, sofern diese nicht aus selbstsüchtigen Motiven erfolgt (Art.115 StGB). Über 1’000 Personen werden jedes Jahr mit Hilfe kommerzieller Organisationen wie Exit, Dignitas, LifeCircle oder EXinternational in den Suizid begleitet. Dabei reicht ein „Sterbehelfer“ zwar die tödliche Substanz, aber der „Sterbewilligen“ nimmt diese selber ein. 

Kundenwerbung“ im Ausland

Beispielsweise Deutschland hat Ende 2015 die sog. «geschäftsmässige Sterbehilfe» untersagt. Ausschlaggebend ist dabei nicht das Entgelt („gewerbsmässig“), sondern ob Suizidhilfe wiederholt und gezielt betrieben wird. EXIT oder Dignitas sind deshalb in Deutschland verboten. 

Während EXIT nur Schweizer Bürger oder Personen mit Schweizer Wohnsitz übernimmt, betreiben Dignitas, LifeCircle und EXinternational im Ausland aktiv Werbung. So kommen viele Menschen aus Ländern, wo Suizidhilfe verboten ist, in die Schweiz. Berühmte Fälle wie der 104jährige Australier David Goodall schaffen zusätzliche Aufmerksamkeit. Über 50 Journalisten nahmen am 9. Mai in Basel an einem Treffen mit ihm teil, wo er sein Vorgehen begründete. 

Hinter euphemistischen Bezeichnungen wie „Dignitas“ (Würde), «LifeCircle“ (Lebenskreis) oder „Eternal Spirit“ (Ewiger Geist) verbirgt sich kommerziell organisierte Tötung. Dies wirft schwere ethische und moralische Fragen auf.

Suizidbeihilfe gegen Bezahlung

Der Begriff der „selbstsüchtigen Motive“ in Art.115 StGB ist unbefriedigend, weil er die Gewerbsmässigkeit nicht erfasst. „Selbstsüchtige Beweggründe“ liegen etwa vor, wenn jemand infolge eines Suizids früher erben kann, oder damit von einer Unterstützungspflicht befreit wird. Dass man für Suizidhilfe eine «normale finanzielle Entschädigung» erhält, reicht für das Straftatbestandselement der «Selbstsucht» jedoch nicht.

Exit verlangt von Mitgliedern 1’200 Franken für eine „Sterbebegleitung“. Bei Dignitas oder LifeCircle, bzw. Eternal Spirit sind es bis 10’000 Franken. Dignitas hat 2008 bis 2012 2,7 Mio. Franken an Gewinnen angehäuft. Hiervon nutze Dignitas-Chef Ludwig Minelli rund 700’000 Franken, um die Zürcher EDU-Initiativen zum Verbot des Sterbetourismus zu bekämpfen. Etwa dieselbe Summe bezog er im selben Zeitraum als Honorar. Seit der Dignitas-Gründung verdiente er durchschnittlich 160’000 Franken pro Jahr aus der Suizidbeihilfe.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft leitete deshalb einen Musterprozess gegen Minelli ein. Das Bezirksgericht Uster sprach ihn jedoch am 1. Juni 2018 frei. Nach Auffassung des Gerichts müssten «überwiegendselbstsüchtige Motive» vorliegen, was in den untersuchten zwei Fällen nicht der Fall war. Es stützte sich dabei auf den stärkeren französischen Gesetzestext («poussé par un mobile égoïste»). Immerhin betonte der Richter, man habe das Geschäftsmodell von Dignitas nur beschränkt überprüft. Polizei und Staatsanwaltschaft müssten weiter genau hinschauen.Bisherige SAMW-Richtlinien

Das tödliche Natriumpentobarbital (NaP) wird vom Arzt zu verschreiben. Dabei müssen «die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften beachtet werden» und der Gesundheitszustand des Patienten bekannt sein (Art. 26 Heilmittelgesetz). Auch muss der Arzt die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) befolgen. Diese verlangten bisher, dass das Lebensende nahe sei (terminal Kranke) und Alternativen (z.B. Palliativpflege) geprüft wurden. Der Wunsch des urteilsfähigen Patienten musste wohlerwogen, ohne äusseren Druck entstanden und dauerhaft sein.

Vor allem bei psychisch Kranken war Suizidhilfe damit bisher (theoretisch) fast ausgeschlossen. Laut Bundesgericht steht ihnen zwar das Selbstbestimmungsrecht zu, aber meist fehlt die Urteilsfähigkeit. Mit Ausnahme von EXinternational geben aber alle Organisationen an, auch psychisch Kranke beim Suizid zu unterstützen. Und gemäss Zahlen des BfS sind in immerhin 3% aller Fälle Depressionen Grund für assistierten Suizid und in 0,8% gar eine Demenz.

Druck auf die Ärzte

Nach wie vor fühlen sich viele Ärzte an den hippokratischen Eid gebunden, Leben zu retten und nicht zu vernichten. Sie geraten immer mehr unter Druck. 2006 reichte ein psychisch Kranker beim Bundesgericht Beschwerde ein, weil er keinen Arzt fand, der ihm das Tötungsmittel verschrieb. Das Gericht hielt fest, dass der Staat zwar das Recht auf den eigenen Tod respektieren müsse, aber nicht verpflichtet sei, beim Suizid zu helfen. 2010 wies das Bundesgericht die Beschwerde einer älteren klinisch gesunden Frau ab, die sterben wollte. Auch sie fand keinen Arzt und wandte sich darauf an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der die Klage 2013 guthiess und die Schweiz aufforderte, die Suizidbeihilfe präziser zu regeln.

Vor allem EXIT erhöhte ab 2016 den Druck auf die Ärzte. Laut bisherigen SAMW-Richtlinien war Suizidhilfe nämlich keine ärztliche Tätigkeit. Das soll sich nun ändern. EXIT hat sich damit praktisch vollständig durchgesetzt.

Neue SAMW-Richtlinien

So setzte die SAMW am 6. Juni 2018 die revidierte Richtlinie «Umgang mit Sterben und Tod» in Kraft. 

Wichtigste Änderung ist, dass Suizidhilfe neu «freiwilliger Teil der ärztlichen Tätigkeit» sein soll. Auf objektive Anhaltspunkte wie das «nahe Lebensende» oder die «tödliche Krankheit» wird verzichtet. Stattdessen soll Suizidhilfe bei urteilsfähigen Personen neu dann zum Zug kommen, «werr�(q �jhr r@ rgen leiden und andere Optionen erfolglos blieben oder als unzumutbar abgelehnt werden». Der Wunsch des Patienten nicht mehr leben zu wollen, muss für den Arzt lediglich «nachvollziehbar» sein. Dass der Entschluss wie bisher «wohlerwogen, ohne äusseren Druck entstanden und dauerhaft» sein muss, fällt weg. Neu ist Suizidbeihilfe zudem auch bei (urteilsfähigen) Kindern, geistig Behinderten und nichtkranken Menschen mit Mehrfach-Altersgebrechen (Altersfreitod) durchzuführen. 

Scharfe Kritik der FMH

Vor allem die Vereinigung Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH hat schwerste Bedenken angemeldet. Kritisiert wird vorab, dass Suizidbeihilfe Teil der ärztlichen Tätigkeit wird, unabhängig ob jemand an einer tödlichen Krankheit leidet. Den Ärzten werde die Beurteilung übertragen, ob ein Leiden für den Patienten unerträglich sei. Der Begriff «unerträgliches Leiden» sei unbestimmt und hänge völlig von der Einschätzung des Patienten und dessen Wertvorstellungen ab. Das mache es für den Arzt äusserst schwer, eine klare Grenze zu ziehen. Es genüge, dass jemand sein Leben nicht mehr erträglich finde. Stossend sei, dass die neue Regelung den Ärzten gegen deren Willen aufdrückt werde, obwohl sich die FMH gewehrt habe.

Die neuen SAMW-Richtlinien gelten zwar ab sofort. Ob sie in die Standesordnung des Berufsverbands FMH aufgenommen werden, ist aber noch unklar. Die FMH-Ärztekammer entscheidet im Herbst darüber. 

Celsa Brunner

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