Die Kommerzialisierung des Suizids

Die sogenannten „Sterbehilfeorganisationen“ wie EXIT haben enormen Zulauf. Gleichzeitig wächst der Druck auf die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften, die ärztlichen Standesregeln zur Suizidhilfe zu lockern.

Mitte Oktober veröffentlichte das Bundesamt für Statistik (BfS) zum zweiten Mal einen Bericht über den Suizid. Er zeigt, dass die Selbsttötungen als solche stark zurückgegangen sind. So nahmen sich Mitte der 1980er Jahre jedes Jahr noch über 1’600 Menschen das Leben. 1995 waren es 1’400 Personen und 2014 starben noch 1’029 Menschen auf diese traurige Weise.

Immer mehr Suizidbeihilfe

Bemerkenswert ist jedoch, dass es sich bei 742 von diesen 1’029 Fällen (2014) um sog. „assistierten Suizid“ durch Drittpersonen handelte. Und dieser Anteil steigt seit Jahren massiv: Von 253 im Jahr 2008 auf 431 im Jahr 2011 und – eben – auf 742 im Jahr 2014. 2015 sollen gar 999 Personen (ohne Ausländer) bei der Selbsttötung „begleitet“ worden sein. Weit über Dreiviertel aller Suizide erfolgen mit Hilfe von Organisationen wie Exit, Dignitas, LifeCircle oder EX International. Diese bieten „Sterbehilfe“ auf gewerbsmässiger Basis. 

Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die Suizidbeihilfe erlauben, sofern diese nicht aus selbstsüchtigen Motiven erfolgt (Art.115 StGB). So reicht ein „Sterbehelfer“ dem „Sterbewilligen“ zwar die tödliche Substanz, aber dieser muss sie selber einnehmen. Aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) ist demgegenüber bei uns verboten – anders als etwa in Belgien oder Holland. In Belgien erfolgt solches gar bei Minderjährigen.

Kundenwerbung“ im Ausland

Deutschland hat Ende 2015 die sog. «geschäftsmässige Sterbehilfe» verboten. Ausschlaggebend ist dabei nicht das Entgelt („gewerbsmässig“), sondern ob die Suizidhilfe wiederholt und gezielt betrieben wird. Organisationen wie EXIT oder Dignitas sind somit in Deutschland verboten. EXIT übernimmt allerdings nur Schweizer Bürger oder Personen mit Schweizer Wohnsitz, während Dignitas, LifeCircle und EX International im Ausland aktive „Kundenwerbung“ betreiben. 

Hinter den euphemistischen Bezeichnungen wie „Dignitas“ (Würde), „LifeCircle“ oder „Eternal Spirit“ verbirgt sich die krasse Realität der Tötung eines Menschen. Dies wirft schwere ethische und moralische Fragen auf. 

Suizidbeihilfe gegen Bezahlung

Der Begriff der „selbstsüchtigen Motive“ in Art.115 StGB ist äusserst unbefriedigend, weil er die Gewerbsmässigkeit nicht erfasst. „Selbstsüchtige Beweggründe“ lägen etwa vor, wenn jemand infolge eines Suizids früher erben könnte, oder wenn er damit von einer finanziellen Unterstützungspflicht befreit würde. Dass jemand für eine Suizidbeihilfe eine „normale finanzielle Entschädigung“ erhält (Zitat „Dignitas“), erfüllt das Straftatbestandselement des „selbstsüchtigen“ Motivs nicht. 

Damit ist der Weg offen für die Kommerzialisierung der Beihilfe zur Selbsttötung. Beihilfe zum Suizid wird zum erfolgreichen Geschäftsmodell. Exit verlangt von Leuten, die weniger als drei Jahre Mitglied sind, bis zu 3’500 Franken für eine „Sterbebegleitung“. Bei LifeCircle oder EX International sind es bis 10’000 Franken. Die Tätigkeit von LifeCircle wird über die Stiftung „Eternal Spirit“ abgewickelt. 

Suizidhilfe bei Depressiven und Demenzkranken

Noch schwerwiegender als die rechtlichen Aspekte ist der Druck, der auf Patienten und Ärzte ausgeübt wird. 

Heute muss das tödliche Natriumpentobarbital vom Arzt verschrieben werden. Dabei müssen «die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften beachtet werden» und der Gesundheitszustand des Patienten bekannt sein (Art. 26 Heilmittelgesetz, HMG). Auch muss der Arzt den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) folgen. Diese verlangen, dass das Lebensende nahe ist (terminal Kranke) und Alternativen (z.B. Palliativpflege) geprüft wurden. Der Wunsch des urteilsfähigen Patienten muss wohlerwogen, ohne äusseren Druck entstanden und dauerhaft sein. 

Vor allem bei psychisch kranken Menschen ist Suizidbeihilfe deshalb theoretisch fast ausgeschlossen. Gemäss Bundesgericht steht zwar psychisch Kranken grundsätzlich das gleiche Selbstbestimmungsrecht zu, wie anderen, aber meist fehlt die Urteilsfähigkeit. Mit Ausnahme von EX International geben aber alle Organisationen an, auch psychisch Kranke beim Suizid zu unterstützen. Und gemäss Zahlen des BfS ist in immerhin 3% aller Fälle eine Depression Grund für assistierten Suizid und in 0,8% gar eine Demenz. 

Druck auf die Ärzte 

Nach wie vor fühlen sich viele Ärzte an den hippokratischen Eid gebunden, Leben zu retten und nicht zu vernichten. Sie geraten immer mehr unter Druck. 2006 reichte ein psychisch Kranker beim Bundesgericht Beschwerde ein, weil er keinen Arzt fand, der ihm das Tötungsmittel verschrieb. Das Gericht hielt fest, dass der Staat zwar das Recht auf den eigenen Tod zu respektieren habe, aber nicht verpflichtet sei, einer sterbewilligen Person beim Suizid zu helfen. 2010 wies das Bundesgericht auch die Beschwerde einer älteren klinisch gesunden Frau ab, die sterben wollte. Auch sie hatte keinen Arzt gefunden und wandte sich darauf an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der die Klage 2013 guthiess und die Schweiz aufforderte, die Suizidbeihilfe präziser zu regeln. 

Vor allem EXIT hat seit letztem September begonnen, den Druck auf die Ärzte zu erhöhen. Laut den SAMW-Richtlinien ist Suizidbeihilfe heute keine ärztliche Tätigkeit. EXIT verlangt nun, die Beihilfe des Arztes als «freiwillige ärztliche Tätigkeit» aufzunehmen. Damit wird – wie bei den Abtreibungen – ein sanfter Druck auf das Medizinalpersonal aufgebaut, gegen das eigene Gewissen an Tötungen mitzuwirken.

Druck auf die Patienten

Parallel dazu wird in der Öffentlichkeit das Bild erweckt, der assistierte Suizid sei völlig normal. Eine von EXIT beim Link-Institut in Auftrag gegebene Studie kam zum Schluss, dass „94 Prozent der befragten Personen eine neutrale und unvoreingenommene Beratung am Lebensende“ verlangten. Hieraus wird die Forderung von EXIT auf Zugang zu Heimen und Pflegeanstalten abgeleitet. Selbst Institutionen wie die Heilsarmee, die explizit gegen Suizidbeihilfe sind, müssen gemäss einem kürzlichen Bundesgerichtsurteil solchen Zugang gewähren.

Ist EXIT erst einmal im Haus, so wächst sanft der Druck auf die Heimbewohner: „Ich möchte ja niemandem zur Last fallen.“ Und: „Der Franz im dritten Stock hat es ja mit Exit auch gemacht.“ Das sei ja sehr gut gegangen. 

Volkswirtschaftliche Interessen
Hinzu kommen volkswirtschaftliche und gesundheitspolitische Überlegungen. So rechnete die liberale „Neue Zürcher Zeitung“ am 14. Dezember 2016 vor: „In den zwölf Monaten vor dem Tod sind die Kosten am höchsten, nämlich 10- bis 15-mal höher als die durchschnittlichen Gesundheitsausgaben pro Person.“ Oder: „Der Einsatz des Cholesterinsenkers Statin kostet in der Primärprävention pro zusätzliches Lebensjahr 200’000 Franken.“ Die gesellschaftlich einzige verantwortungsvolle Schlussfolgerung lautet da wohl: Was könnten wir doch bloss an Gesundheitskosten einsparen, wenn das verflixte letzte Lebensjahr nicht wäre! Oder aus liberal-utilitaristischer Perspektive anders gefragt: Wie könnten wir die guten Alten dazu bewegen, auf das ach so teure letzte Lebensjahr zu verzichten?
Und so vermengen sich denn volkswirtschaftliche Überlegungen, kommerzielle Interessen der Suizidhilfeorganisationen und pseudomoralische Argumente (Recht auf einen „würdevollen“ Tod) zu einem vielschichtigen, ethisch äusserst gefährlichen Ganzen. All dies lässt befürchten, dass die „sanfte Beförderung in den Tod“ in einigen Jahren in unserem Land schon genauso alltäglich sein wird, wie es heute mit der Fristenlösung die Abtreibung bereits geworden ist.

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