Von der «Heiratsstrafe» zur «Einverdienerstrafe»

Ende Februar präsentierte der Bundesrat seinen Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung». Für kinderreiche Einverdienerfamilien ist das Resultat ernüchternd und deprimierend.

Am 8. September 2022 reichten die FDP-Frauen zusammen mit den Grünliberalen und linken Parteien mit 112’000 Unterschriften die Volksinitiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung» ein. Im Frühjahr 2023 fand die Vernehmlassung statt. Dabei wurde die Individualbesteuerung sowohl von den Parteien SVP, EVP, EDU und Mitte als auch 21 Kantonen und zahlreichen Organisationen (darunter unsere Arbeitsgruppe «Jugend und Familie» und IG «Familie 3plus») abgelehnt.

Am 30. August 2023 veröffentlichte der Bundesrat im Auftrag des Parlaments «Eckwerte für eine Individualbesteuerung». Bis März 2024 wollte er einen konkreten Gesetzesvorschlag vorlegen. Etwas früher als erwartet hat er nun am 21. Februar 2024 seine Botschaft für einen Systemwechsel veröffentlicht. Bei der Präsentation zeigte sich, dass das negative Vernehmlassungsergebnis für Bundesrätin Karin Keller-Sutter offensichtlich völlig egal ist. Ohne jede Rücksicht auf die leidtragenden kinderreichen Einverdienerfamilien macht sie weiter.

Ein Albtraum

Das nun vorgeschlagene «Bundesgesetz über die Individualbesteuerung» ist ein direkter Gegenvorschlag zur erwähnten Volksinitiative. So müssten Vater und Mutter künftig getrennte Steuerklärungen ausfüllen. Das Vermögen müsste auf beide Ehepartner aufgeteilt und separiert deklariert werden. Ein Albtraum!

Als Korrektiv soll der Kinderabzug von gegenwärtig 6’700 Franken bei den direkten Bundessteuern auf 12’000 Franken erhöht werden. Dies ist jedoch nur scheinbar eine Erleichterung. Tatsächlich würde der Abzug nämlich je hälftig auf die Eltern verteilt und damit die positive Wirkung gleich wieder aufgehoben.

Zu den grössten Verlierern der Individualbesteuerung gehören Familien mit nur einem Einkommen oder eventuell einem kleinen Zweiteinkommen. Dies ist typischerweise bei den Grossfamilien der Fall. Sie zahlen künftig mehr Steuern als bisher – selbst ohne Heiratsstrafe!

Bundesrat gegen Grossfamilien

Sie werden nämlich gleich mehrfach bestraft: Durch die Halbierung der Kinderabzüge, durch den Wegfall des Verheiratetentarifs und durch das Verschwinden weiterer Abzüge wie dem Verheiratetenabzug, dem Versicherungsabzug, dem Familienabzug und Ausbildungsabzügen (je nach Kanton).

Zudem dürfen Grossfamilien ja nicht einmal einen Betreuungsabzug geltend machen (weil sie ihre Kinder ja selbst betreuen oder von Verwandten und Grosseltern betreuen lassen) – im Unterschied zu den einkommensstarken Doppelverdienern, die ganz einfach in der KITA fremdbetreuen lassen. Nicht einmal die Anstellung einer Haushalthilfe bei einer kinderreichen Familie ist steuerlich abziehbar!

Die grossen Gewinner sind demgegenüber Doppelverdienerpaare mit hohen Einkommen (Reineinkommen pro Partner über 98’000 Franken). Dort will der Bundesrat als Korrektiv lediglich eine kleine Änderung der Progression vornehmen. Sie begänne leicht später, und die höheren Sätze greifen etwas früher. So wären künftig erst Einkommen ab 20’000 Franken statt 18’300 Franken steuerpflichtig. Und die maximale Gesamtsteuerbelastung von 11,5% wäre künftig bei einem Einkommen von 751’100 Franken statt 783’300 Franken erreicht. Von solchen Zahlen können kinderreiche Familien nur träumen!

Kantone und Gemeinden

Auch Kantone und Gemeinden müssten die Individualbesteuerung einführen – mit etwa 1,7 Millionen zusätzlichen Steuererklärungen pro Jahr. Und die Tragweite für Familien wäre dort wohl noch viel schwerwiegender.

Dort ist nämlich – im Unterschied zu den direkten Bundessteuern – auch der untere Mittelstand brutal betroffen. Von diesen Auswirkungen spricht heute jedoch niemand. In der bundesrätlichen Botschaft (Ziff. 6.7.5) wird lapidar festgehalten, die kantonalen und kommunalen Mehrbelastungen für Einverdienerfamilien seien irgendwann noch zu berechnen.

Höhere Mehrwertsteuern

Hinzu kommen rund eine Milliarde Franken Steuerausfälle durch die Reform. Diese müssten kompensiert werden – wohl wieder einmal durch Mehrwertsteuererhöhungen. Und damit hätten kinderreiche Familien gleich nochmals den schwarzen Peter.

Die Mehrwertsteuer ist nämlich eine unsoziale und familienfeindliche Steuer. Kinderreiche Haushalte mit tiefen Einkommen müssen einen hohen Anteil ihres Einkommens für den laufenden Konsum aufwenden. Auf Nahrungsmittel und Güter des täglichen Gebrauchs kann man nicht einfach verzichten. Für hohe – und oft kinderlose – Doppelverdienereinkommen ist das natürlich kein Problem.

Celsa Brunner

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