Am 21. Juni ging die Vernehmlassung für die Einführung einer «Ehe für alle» zu Ende. Dabei zeigte sich starke Kritik nicht nur der Kirchen, sondern überraschend auch seitens der Zivilstandsbehörden.
Die nationalrätliche Rechtskommission hat Mitte März eine komplexe Vorlage vorgelegt (vgl. Jufa Mai 2019), welche die «Ehe für alle» in einer Salamitaktik in mehrere Etappen aufteilt. Leichter durchzubringende Teile würden taktisch vorgezogen, sodass der schwierigere Rest nachher quasi automatisch übernommen werden muss.
Künstliche Befruchtung?
Zur Kernvorlage, die zuerst umgesetzt werden soll, gehören vorab Güter- und Bürgerrechtsfragen und der Zugang von Homopaaren zur Fremdadoption. Vorgesehen wird in einer Variante auch die künstliche Befruchtung für Lesbenpaare, die heute nur bei heterosexuellen Ehepaaren zulässig ist. Ein Kind aus einer solchen künstlichen Besamung hätte somit künftig zwei originäre Mütter (Elternschaft ab Geburt). Laut Bundesrat geht dies ohne Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG).
Verfassungsänderung nötig!
Mit der Öffnung der Fortpflanzungsmedizin für gleichgeschlechtliche Paare wird eine entscheidende Grenze überschritten. Art.119 Abs.2 lit.c der Bundesverfassung beschränkt nämlich die künstliche Befruchtung auf Fälle der «Unfruchtbarkeit». verschiedengeschlechtlicher Paare. Für eine Öffnung der Fortpflanzungsmedizin für Lesbenpaare brauchte es deshalb zwingend eine Verfassungsänderung und damit die Zustimmung der Mehrheit der Kantone. Dies will die Nationalratskommission aber unbedingt vermeiden.
SEA: Kindswohl im Mittelpunkt
Die Evangelische Allianz (SEA) erachtet in ihrer Eingabe vom 19. Juni eine Angleichung als überflüssig: «Der entscheidende Unterschied zwischen hetero- und homosexuellen Partnerschaften ist und bleibt, dass nur aus ersteren Nachkommen hervorgehen können.» Angesichts dieses essenziellen Unterschieds stelle die Ungleichbehandlung keine ungerechtfertigte Diskriminierung dar.
Der Zugang zur Fremdadoption und zur Fortpflanzungsmedizin ist gemäss SEA aus Sicht des Kindes zu beurteilen. Beides würde bedeuten, dass Kinder entweder ohne Vater oder ohne Mutter aufwachsen. Es gebe jedoch keinen Grund, vom entwicklungspsychologisch und pädagogisch begründeten Ideal eines weiblichen und eines männlichen Elternteils abzuweichen. Im Gegenteil laufe ein Kind mit zwei Müttern Gefahr, stigmatisiert zu werden.
Zudem würde eine Öffnung der Fortpflanzungsmedizin nur für weibliche Paare neue Ungleichheiten schaffen. Dies wiederum dürfte früher oder später in die Forderung nach einer Leihmutterschaft für männliche Paare und damit in eine Instrumentalisierung des menschlichen Körpers münden.
Der Verband der Freikirchen (VFG) zeigte in einer eigenen Stellungnahme das historisch gewachsene Eheverständnis auf, das von den Promotoren von «Ehe für alle» heute schlichtweg umgedeutet werde. Er verwies auf die eng mit der Generationenfolge verbundene Bedeutung der Ehe, weshalb sie den besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft verdiene.
Bischofskonferenz verlangt Verfassungsänderung
Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) sorgt sich zwar primär «um die sakramentale Eheschliessung und die Verbindung von Mann und Frau vor Gott», aber auch die Bischöfe äussern schwere Bedenken. Insbesondere verlangen sie, dass «alle wichtigen Folgen berücksichtigt» werden, die künftige Kinder aus Homo-Ehen betreffen. Den Zugang weiblicher Paare zur Fortpflanzungsmedizin lehnt die SBK strikte ab. Zudem verlangt sie auf jeden Fall eine Verfassungsänderung.
SEK gespalten
Die Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) ist demgegenüber tief gespalten, äusserte sich jedoch schliesslich in einer verspäteten Eingabe am 8. Juli positiv zur «Ehe für alle».
Trotz Differenzen setze sich eine Mehrheit der Mitgliedkirchen für die Gleichbehandlung von hetero- und homosexuellen Paaren auf rechtlicher und kirchlicher Ebene ein. Sie stimmten darin überein, dass sich in der Vielfalt sexueller Orientierungen die Fülle des göttlichen Schöpfungshandelns widerspiegle.
Gleichzeitig wird die tiefe Zerrissenheit thematisiert: «Viele Mitgliedkirchen treten für eine weitgehende oder vollständige Gleichbehandlung von hetero- und homosexuellen Paaren auf rechtlicher und kirchlicher Ebene ein. Andere Mitgliedkirchen befinden sich mitten im Klärungsprozess.» Die rechtliche Frage nach der «Ehe für alle» und die liturgische Frage nach der «Trauung für alle» verlange nach einer einmütigen Antwort der Kirchen, die den gesellschaftlichen Entwicklungen zwar Rechnung trage und die theologischen und liturgischen Differenzen nicht einebne. Der Prozess werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Widerstand der Zivilstandsbehörden
Überraschend klare Kritik kam seitens der Fachkonferenz der Kantonalen Zivilstandsexperten (KAZ), deren Stellungnahme mit den kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) abgesprochen und koordiniert ist. So sei die «Ehe für alle» kaum mit dem geltenden Abstammungsrecht zu vereinbaren.
Ein besonders heikler Punkt sei die Vaterschaftsvermutung. Gegenwärtig gilt gemäss Zivilgesetzbuch der Ehemann der Mutter von Rechts wegen als Vater des in der Ehe geborenen Kindes. Mit der «Ehe für alle» würde die Vaterschaftsvermutung auf die mit der Mutter verheiratete Frau erweitert. Gemäss den Experten steht «dieser wohlgemeinten Variante im realen Leben ein erhebliches Konfliktpotenzial gegenüber». Im Unterschied zur Vaterschaftsvermutung bestehe bei der Mutterschaftsvermutung keinerlei Korrektiv über Anfechtungsklagen.
Die Rechtskommission des Nationalrats wollte das Abstammungsrecht erst in der zweiten Phase revidieren. Für die KAZ muss dieser Punkt jedoch unbedingt sofort geklärt werden. Sie lehnt die vorgeschlagene Variante ab, «da ohne gesamtheitliche Beurteilung faktisch die soziale Elternschaft eingeführt wird», also nicht mehr die Abstammung entscheidend ist. Zudem kritisieren die Experten, dass offenbleibt, wie bei Samenspenden für lesbische Paare mit dem biologischen Vater rechtlich umgegangen wird. Ihm werde die Möglichkeit der Anerkennung seines biologischen Kindes verwehrt.
Zahlreiche rechtliche Komplikationen
Auch ist unklar, wie eingetragene Partnerschaften behandelt werden, die es künftig nicht mehr geben soll. Lesbische und schwule Paare könnten diese zwar in eine Ehe umwandeln, aber einen Zwang gibt es nicht. Dies könne insbesondere bei Paaren zu Problemen führen, die im Ausland eine Lebensgemeinschaft begründeten. Zudem frage sich, ob die Namensführung und das Bürgerrecht neu beurteilt würden und welche Auswirkungen die Umwandlung einer eingetragenen Partnerschaft auf allfällige Kinder eines Partners habe. Dass auf dem Zivilstandsamt bei der Abgabe der Umwandlungserklärung eine Zeremonie durchgeführt wird, betrachten die Experten als «störend und praxisfremd».
Celsa Brunner