Nationalrat: «Ehe für alle» durchgewinkt

Bundesrat und Parlament wollen die «Ehe für alle» rasch vorantreiben. Mit einer Salamitaktik werden unbestrittenere Teile («Kernvorlage») vorgezogen und umstrittene Fragen später behandelt. 

Es war ein unwürdiges Schauspiel: nur gerade eine gute Stunde benötigte der Nationalrat am 11. Juni, um ein gesellschaftspolitisch so wichtiges Projekt wie die «Ehe für alle» durchzupeitschen. Mit 132 zu 52 Stimmen bei 1 Enthaltung wurde das Vorhaben gutgeheissen. Lediglich die SVP/EDU stimmte grossmehrheitlich gegen die Öffnung der Ehe für Homopaare. Die von den Grünliberalen 2013 lancierte Parlamentarische Initiative (13.486) erhielt damit Rückenwind aller übrigen Parteien.

Rechtlich einfach

Damit hatte die Salamitaktik Erfolg, die Vorlage in zwei Teile zu spalten und die eher unbestrittene «Kernvorlage» (inkl. Adoption und Bürgerrechte) dem schwierigeren Rest (Leihmutterschaft, AHV, usw.) vorzuziehen. 

Es tönt kompliziert, ist aber relativ einfach: Gemäss dem geänderten Art.94 des Zivilgesetzbuches (ZGB) kann die Ehe künftig«von zwei Personen eingegangen werden, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und urteilsfähig sind». Das Geschlecht spielt keine Rolle mehr.

Samenspende inklusive


Umstritten blieb bloss, ob auch die Samenspende für Lesben in die «Kernvorlage» aufgenommen wird. Der Bundesrat befürchtet, dass damit das Fuder überladen werden könnte. Auch dies wurde allerdings im Nationalrat mit 124 zu 72 Stimmen durchgewunken. Konkret bedeutet dies eine Änderung des ZGB, wonach eine Elternschaft zwischen einem Kind und dem anderen Elternteil neu «kraft der Ehe der Mutter begründet» wird(Art. 252). «Ist die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt mit einer Frau verheiratet, so gilt die Ehefrau als der andere Elternteil»(neuer Art. 259a). Nicht nur wird damit die Samenspende für Lesbenpaare in der Schweiz legal. Das Kind verliert auch sein verfassungsmässiges Recht, den natürlichen Vater zu kennen. Die bisherige Vaterschaftsklage und die Aufzeichnungspflicht von Samenspenden fallen faktisch weg. 

Dass die «Kernvorlage» jetzt auch die Samenspende beinhaltet, wird die Vorlage kaum zum Absturz bringen. Zwar muss die Sache noch in den Ständerat, was etwas schwieriger wird. Aber es scheint klar, dass die «Ehe für alle» das Parlament reibungslos passieren wird. Selbst die CVP, die sich bei der Samenspende noch etwas zierte, steht generell vorbehaltlos hinter dem Vorhaben. Vorbei sind die Zeiten, als diese Partei mit ihrer Initiative gegen die Heiratsstrafe noch eine klare Ehedefinition vertrat. 

Verfassung ausgehebelt

Staatspolitisch bedenklich ist, dass das Parlament mit seinem Vorgehen die Bundesverfassung aushebelt. Nach Art.14 BV (Schutz der Ehe) besteht die Ehe anerkanntermassen aus Mann und Frau. Um die Verfassung zu umgehen, lieferte das Bundesamt für Justiz kurzerhand ein Gefälligkeitsgutachten, wonach Gesetzesänderungen auch im Widerspruch zur Verfassung möglich sind. Das Parlament dürfe deshalb das ZGB auch entgegen Art.14 BV ändern. Zweck der Übung war, ein obligatorisches Referendum (und das damit nötige Ständemehr) zu vermeiden.

Schwieriger Abstimmungskampf

Wir müssen uns somit wieder einmal auf ein fakultatives Referendum vorbereiten. Wer bereits aktiv werden möchte, kann die Website www.ehe-erhalten.ch verfolgen.

Die Abstimmung wird schwierig. In der Vernehmlassung vom Frühling 2019 äusserten sich 19 Kantone und sechs politische Parteien positiv zur «Ehe für alle». Nur vier Kantone und drei Parteien lehnten sie ab (SVP, EDU, EVP). Selbst die Variante mit Samenspende für Lesbenpaare stiess mehrheitlich auf Zustimmung (97 von 154 Antworten). 

Die Bevölkerung scheint demgegenüber die Samenspende kritischer zu sehen. Bei einer Umfrage von Tamedia/20minuten vom Februar 2020 sagten zwar 61% der Befragten «Ja» oder «eher Ja» zur «Ehe für alle», aber nur 32% befürworteten eine Zulassung der Samenspende für Lesbenpaare.

Offener Bundesgerichtsentscheid

Vorläufig noch offen ist die Frage einer Wiederholung der Abstimmung über die CVP-Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe. Diese definiert die Ehe auf Verfassungsstufe als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Wir warten diesbezüglich noch auf ein Bundesgerichtsurteil, ob die annullierte Abstimmung mit dem ursprünglichen Text wiederholt werden muss.

                                                                           Celsa Brunner

Schreiben Sie einen Kommentar