Krankenkasse: Der Prämienschock

Unter den Prämienerhöhungen leiden vor allem Familien des unteren Mittelstandes, die knapp keine staatliche Prämien-Verbilligung erhalten.

Ab 1. Januar 2024 steigen die KVG-Prämien schweizweit durchschnittlich 8,7% (oder Fr. 28.70 pro Monat/Person). Die Prämie beträgt neu durchschnittlich 359 Franken pro Monat. Das ist der grösste Sprung seit 2010.

Kantonale Unterschiede

Die Unterschiede sind allerdings gross: In Appenzell AR, Waadt, Zug und im Tessin steigen die Erwachsenen-Prämien über 10%. In Genf, Basel-Stadt und im Tessin zahlt man nun durchschnittlich über 500 Franken. Appenzell IR bleibt mit 296 Franken der günstigste Kanton.

Für eine Familie mit zwei Kindern liegen die Kosten 2024 im schweizweiten Durchschnitt rund 1’000 Franken über dem Vorjahr. Besonders hart trifft es kinderreiche Familien des unteren Mittelstandes, die keine Prämienverbilligung erhalten. Zu diesen gehört die sechsköpfige Familie Nobs im Kanton Bern.

Zum Beispiel: Familie Nobs

Mutter Mirjam Nobs mit vier Kindern ist verzweifelt: «Wir zahlen jetzt schon so viel für die Krankenkasse, wie wir Miete zahlen. Der Strom soll ja offenbar auch wieder raufgehen. Für uns heisst das: Noch mehr Einschränkungen, noch härter arbeiten, noch mehr Nebenjobs, noch mehr schauen, dass irgendwie Geld reinkommt.»

Vater Nobs arbeitet als Lokführer, während Mutter Nobs die Kinder versorgt und kleine Nebenjobs im Gesundheitsbereich hat. Mit Kinderzulagen und Unterhaltszahlungen haben sie zusammen ein Monatseinkommen von 9’000 Franken – zu viel für eine Prämienverbilligung.

Bei zwei Erwachsenen und vier Kindern zahlte Familie Nobs bisher monatlich rund 1’400 Franken KVG-Prämien, d.h. jährlich fast 17’000 Franken. In Bern steigen die Prämien jetzt 8,3%. Ein Wechsel zu einer günstigeren Kasse kommt für die Nobs leider nicht in Frage: Wegen finanzieller Schwierigkeiten konnten sie 2022 eine Krankenkassenrechnung nicht bezahlen und haben nun Schulden.

Mirjam Nobs erzählt: «Leider haben wir aufgrund finanzieller Probleme einen Verlustschein erhalten. Und es gibt eine spezielle Klausel der Krankenversicherer, dass man die Kasse nicht wechseln darf, wenn man im Inkassoverfahren ist oder einen Verlustschein hat.» Das Problem dahinter sind oft die Maximalfranchisen.

Gemäss Santésuisse hat die Zahl der Versicherten mit Maximalfranchise (2’500 Franken) einen Höchststand erreicht. Jede dritte Person (35,4%) geht also für tiefere Prämien das Risiko ein, bei einer schweren Erkrankung oder grossen Operation bis zu 3’200 Franken (Franchise plus 700 Franken Selbstbehalt) selbst bezahlen zu müssen. Dies führt zu Schulden, die dann einen Kassenwechsel verunmöglichen.

Umzug aufs Land

Vor einigen Monaten zog die Familie Nobs aufs Land um mit einer kostengünstigeren Wohnung Geld zu sparen und Schulden abzuzahlen. Sie versuchen ausserdem, ihr Einkommen mit Nebenjobs aufzubessern, wie zum Beispiel dem Verkauf von Eiern. Vor Kurzem haben sie ein paar Hühner angeschafft.

Mit dem Verkauf von Eiern versucht Familie Nobs das Budget etwas aufzubessern.

Mehr Prämienverbilligungen

Mit steigenden Prämien müssen Bund und Kantone mehr Geld für die individuelle Prämienverbilligungen (IPV) bereitstellen. Die Bedingungen für den Erhalt einer IPV, deren Höhe und Art der Auszahlung – automatisch oder auf Antrag – sind kantonal geregelt.

Im Durchschnitt bezieht jede vierte Person in der Schweiz eine Prämienverbilligung. Grundsätzlich haben Menschen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen ein solches Anrecht. Massgebend sind Einkommen und Vermögen, die mit Obergrenzen gedeckelt sind. 2022 hatten Genf, Waadt, Uri und Schaffhausen den grössten Anteil an Bezügern. Am kleinsten war der Anteil in Neuenburg, Basel-Land und St. Gallen.

Hängige Volksinitativen

Gegenwärtig sind zwei Volksinitiativen hängig, um die Prämiensteigerungen abzumildern. Die «Prämien-Entlastungs-Initiative» der SP will die Grundprämien auf 10% des Einkommens beschränken und wurde anfangs 2019 eingereicht. Unklar bleibt, woher das Geld für die zusätzliche Subventionierung kommen soll. Das Parlament stellt der Initiative deshalb einen Gegenvorschlag entgegen.

Demgegenüber will die «Kostenbremse-Initiative» der «Mitte» bei den Gesundheitskosten ansetzen. So müssten Bund und Kantone mit den Akteuren des Gesundheitswesens Massnahmen ergreifen, wenn diese zu stark steigen. Das wäre der Fall, wenn das Kostenwachstum pro versicherte Person 20% über der Nominallohnentwicklung läge. «Die Mitte» schreibt, dass damit in der obligatorischen Grundversicherung ohne Qualitätsverlust 6 Mia. Franken eingespart werden könnten. Abgezielt würde auf mehr ambulante Eingriffe und Generika statt Originalmedikamente. Die Initiative wurde 2020 eingereicht und soll 2024 ebenfalls mit einem (indirekten) Gegenvorschlag zur Abstimmung kommen.

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