Fristenlösung ist keine «Lösung»!

Die Gründe für eine Abtreibung sind vielfältig. Überforderung, Notsituationen oder auch einfach, weil ein Kind momentan nicht in den Lebensentwurf passt. In den wenigsten Fällen geht es um Gesundheit. Und vor allem: Heute sollte in Europa kein Kind aus wirtschaftlichen Gründen sterben!

Am 1. Oktober 2002 trat die sog. Fristenlösung.in Kraft. Der Schwangerschaftsabbruch ist seither in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen straflos, wenn die Mutter eine Notlage geltend macht (Artikel 119 StGB). Auch nach diesem Zeitpunkt ist eine Abtreibung möglich, wenn eine Fortsetzung der Schwangerschaft die «körperliche oder seelische Gesundheit» der Schwangeren stark gefährden würde. Dabei müssten für «Spätabtreibungen» theoretisch umso schwerwiegendere Gründe vorliegen, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist. In der Praxis sind die nötigen Bewilligungen aber eine Formalität.

Inzwischen ist die Fristenlösung zur Routine geworden und jährlich werden in der Schweiz rund 11’000 Kinder im Mutterleib getötet. Seit der Einführung 2002 sind dies über 200’000 Menschen. Die Gründe für die zunehmende Akzeptanz sind relativ offensichtlich.

Nicht einfach ein Zellklumpen!

Erstens ist die Fristenlösung eng mit der Vorstellung verbunden, bei einer Abtreibung (auch im Spätstadium) handle es sich um die reine Beseitigung eines Zellklumpens –wie das Herausschneiden eines gutartigen Geschwürs oder das Ziehen eines Zahns. Während diese Vorstellung im frühesten Schwangerschaftsstadium noch zutreffen mag, nimmt der Embryo aber schon drei Wochen nach der Befruchtung die Form eines Menschen an.

Das Herz und die wichtigsten Blutgefässe entwickeln sich bereits ab dem 16. Tag. Ab dem 20. Tag beginnt das Herz, Flüssigkeit durch die Gefässe zu pumpen. Und am folgenden Tag tauchen die ersten roten Blutkörperchen auf. Rasch entwickelt sich der Bereich, aus dem Gehirn und Rückenmark entstehen (Neuralrohr). 10 Wochen nach der Befruchtung sind fast alle Organe vollständig ausgebildet. Ab dann spricht man auch nicht mehr vom Embryo, sondern vom Fötus.

Tragik der Spätabtreibungen

Die Vorstellung der Abtreibung als Beseitigung eines Zellklumpens, ist vor allem eine Selbsttäuschung. Spätabtreibungen machen selbst unbedarften Müttern klar, dass es sich beim Ungeborenen nicht um einen Zellhaufen, sondern um ein Kind handelt. Und je weiter das Kind entwickelt ist, desto offensichtlicher wird die Verantwortung der Mutter für dieses Lebewesen.

In der Schweiz treiben jedes Jahr rund 500 Frauen nach der zwölften Schwangerschaftswoche ab, davon rund ein Drittel zwischen der 16. und der 22. Woche. Ist das Kind im Zeitpunkt der Abtreibung bereits lebensfähig (ab der 23. Woche), so muss es im Mutterleib zuerst mit einer Kaliumchlorid-Injektion ins Herz getötet werden (Fetozid). Trotzdem kommen jährlich rund 25 Kinder lebend zur Welt. Wäre dies Gesellschaft ehrlich, so müsste die Tötung dieser lebensfähigen und nach der Geburt noch Lebenszeichen gebenden Kinder strafrechtlich verfolgt werden.

Medikamentöse Abtreibung

Zweitens wird die «Normalisierung» der Abtreibung dadurch verstärkt, dass diese häufiger medikamentös zuhause ausgeführt wird. Dies ist bis zur 9. Schwangerschaftswoche möglich und in 95 – 98% der Fälle erfolgreich. Spezialisierte Arztpraxen machen hierfür gezielt Werbung («One Stop MToP-Methode»). Dabei werden die Mittel Mifepriston (Mifegyne, bzw. Abtreibungspille RU486) und Misoprostol (Cytotec) kombiniert verabreicht.

Mit der «Abtreibung zuhause» lassen sich Abtreibungen diskret und mit wenig Aufwand durchführen. Dies erleichtert manchen Frauen einen solchen Schritt, den sie sonst vielleicht nicht unternommen hätten.

Feministische Gesundheitspolitik

Und drittens gehört es mittlerweile zum Standardvokabular, dass die «jederzeitige Abtreibung» zur elementaren Gesundheitsversorgung gehöre. 2022 hat auch die UNO-Weltgesundheitsorganisation (WHO) Richtlinien für eine solche «feministische Gesundheitspolitik» erlassen. Sie verlangen:

  • Die Abschaffung aller politischen Hindernisse zur Abtreibung und deren Entkriminalisierung;
  • Keine obligatorischen Warte- und Bedenkzeiten;
  • Kein Erfordernis der Zustimmung Dritter (z.B. Vater des Kindes);
  • Keine zeitlichen Begrenzungen für Spätabtreibungen.

Das Problem der WHO-Vorgaben ist, dass der Embryo lediglich und ausschliesslich als Körperteil der schwangeren Frau wahrgenommen wird. Sie allein ist entscheidungsberechtigt, was damit geschieht. Zwar kann daraus später ein Mensch mit Rechten und Schutzwürdigkeit hervorgehen, aber bis zur Geburt liegt im Prinzip jede Entscheidungsgewalt bei der autonomen Mutter. Die ärztliche Behandlung muss deshalb zwingend und ausschliesslich auf die Rechte der Frau ausgerichtet sein. Das Ungeborene rückt erst viel später ins Blickfeld und der Kindsvater bleibt völlig rechtlos.

Vorstösse im Parlament

Die WHO-Mitgliedstaaten sind aufgerufen, dies umzusetzen. Die vier Nationalrätinnen Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP/SG), Min Li Marti (SP/ZH), Léonore Porchet (Grüne/VD) und Melanie Mettler (GLP/BE) haben deshalb in der Sommersession 2023 im Parlament vier Vorstösse eingereicht, um die Schweizer Fristenlösung im Blick auf die WHO-Vorgaben prüfen zu lassen.

Zwei Postulate mit dem identischen Titel «Evaluation der Fristenregelung» von Susanne Vincenz-Stauffacher (23.3805) und Min Li Marti (23.3762) fordern eine bundesrätliche Untersuchung der kantonalen Abtreibungspraxis und der Praxis anderer Staaten hinsichtlich einer integralen Übernahme der WHO-Vorgaben. Der Nationalrat hiess die Postulate Vincenz-Stauffacher (23.3805) und Min Li Marti (23.3762) am 27. Februar 2024 mit 101 gegen 84 Stimmen trotz Widerspruch von Marc Jost (EVP/BE) gut. Der Bericht wird vom Justizdepartement erarbeitet und soll demnächst vorliegen.

Die zwei Postulate von Léonore Porchet (23.3823) und Melanie Mettler (23.3789) wurden demgegenüber vom Nationalrat abgeschrieben. Die Rechtskommission des Nationalrats hat eine entsprechende Debatte bereits 2023 geführt und damals beschlossen, dass Spätabtreibungen vom Strafrecht nach wie vor abgedeckt bleiben sollten.

Bundesratsbericht

Die Stossrichtung der WHO und der Frauen im Parlament ist offensichtlich. Um Klarheit über die weiteren Schritte zu erhalten, wird man nun jedoch den Bundesratsbericht abwarten müssen.

Claudia Kaufmann, «Jugend und Familie» Leiterin Hilfsstelle für Familien in Not

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