Der unheimliche Zwang zur «Spende»

Die Organentnahme ist ethisch überaus heikel. Im Parlament gab man der Vorlage nicht das nötige Gewicht und winkte sie kurzerhand durch. Am 15. Mai kann nun das Volk entscheiden.

Der Bundesrat hat es offenbar eilig, das neue Transplantationsgesetz durchzupeitschen. Noch bevor die Bundeskanzlei überhaupt ein Zustandekommen des Referendums bekanntgab, begann Bundesrat Alain Berset am 22. Februar mit einer Pressekonferenz bereits mit dem Abstimmungskampf.

Automatisch Organspender

Geht es nach Bundesrat und Parlament, so gilt in der Schweiz künftig jeder Mensch als Organspender, sofern er dies nicht zu Lebzeiten ausdrücklich ablehnt und seinen Widerspruch in ein nationales Register eintragen lässt. Die derzeit geltende Zustimmungslösung (ausdrückliche Zustimmung zur Organspende nötig), soll somit zu einer «erweiterten» Widerspruchslösung werden (d.h. man wird automatisch Organspender, wenn man nicht explizit Nein sagt). «Erweitert» ist die Regelung deshalb, weil Angehörige ein Veto gegen die Organentnahme einlegen könnten, falls der explizite Wille des Familienmitglieds nicht bekannt ist. Sind die Angehörigen nicht rechtzeitig zur Stelle, werden die Organe entnommen.

Grosse Gefahren

Es gibt eine Reihe schwerwiegender Gründe, die Revision des Transplantationsgesetzes abzulehnen:

  • Mit der neuen Widerspruchslösung ist der Schutz der körperlichen Integrität nicht mehr gewährleistet, sondern das an sich verfassungsmässig garantierte «Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit» (Art.10 Abs.2 BV) müsste explizit eingefordert werden. Der Körper Verstorbener gehörte künftig dem Staat, bzw. der Allgemeinheit – sofern man nicht ausdrücklich anders verfügt.
  • Zu jedem medizinischen Eingriff braucht es ein bewusstes und nmissverständliches Ja. Dass dies für die Organentnahme nicht gelten soll, ist unverständlich. Beim sog. Hirntod leben noch 97% des menschlichen Körpers, das Herz schlägt, lediglich die Gehirnfunktion ist ausgefallen. Schliesslich müssen ja die Organe möglichst rasch entnommen werden. In der Schweiz ist deshalb vorgeschrieben, dass die vermeintliche «Leiche» bei der Organentnahme unter Vollnarkose gesetzt werden muss.
  • Mit dem Automatismus werden uninformierte Menschen übertölpelt und wider Willen zum Organspender. Theoretisch müssten alle Personen in der Schweiz informiert werden, dass sie sich in ein Register eintragen müssen, wenn sie keine Organspende wollen. Dies ist völlig unrealistisch. Was ist mit hiesigen Ausländern, welche die Landessprache nicht verstehen? Was ist mit jenen Menschen, die das Gelesene nicht verstehen oder sich nicht mit ihrem Sterben befassen möchten? Betroffen sind die sozial Schwächsten. Sie würden zu Organlieferanten, ohne davon zu wissen oder sich dagegen wehren zu können.
  • Mit dem Systemwechsel steigt der Druck auf die Familie. Angehörige können eine Organentnahme beim lieben Verstorbenen nicht einfach ablehnen. Sie müssen glaubhaft machen, dass die verstorbene Person mutmasslich die Organentnahme abgelehnt hätte. Wie soll das in der Praxis funktionieren? Bei der Organentnahme pressiert es. Wie werden die Angehörigen überhaupt gefunden? Wie können sie so rasch die Nachweise für den Willen des Verstorbenen beschaffen?
  • Zudem: Eine Ablehnung der Organentnahme würde den Angehörigen als unsolidarisches Verhalten angelastet, während gleichzeitig die Organtransplantation – wie heute bereits das Blutspendewesen – zu einem Millionengeschäft kommerzialisiert wird.

Fake Profile von Organspendern

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) will das Organentnahme-Register mit einer App von Swisstransplant führen lassen, der Schweizer Stiftung für Organspende und Transplantation. Eine solche App existiert bereits und Mitte Januar 2022 kam es zum Skandal. Nach Sicherheitsmängeln musste die Stiftung das Online-Register vorübergehend schliessen.


Der IT-Sicherheitsberater Sven Fassbender zeigte im Schweizer Fernsehen, dass man auf dem Online-Portal von Swisstransplant Fake-Profile vermeintlicher Organspender erstellen kann. Dazu hatte er einen Reporter mit dessen Personalien angemeldet, inklusive Adresse, Geburtsdatum und eines im Internet von ihm gefundenen Bildes. Der Mann wurde dann als Organspender registriert, ohne daran mitgewirkt zu haben. Es war also offensichtlich möglich, Personen ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung im Register einzutragen.


Organtransplantationen sind wichtig und können Leben retten. Allerdings gibt selbst das BAG zu, dass ein Wechsel zur Widerspruchslösung die Zahl der verfügbaren Spenderorgane nicht erhöht. Eine Studie der Universität Zürich kam 2018 zum Schluss, dass eine direkte kausale Wirkung auf die Spenderrate fehlt. Dies bestätigen auch ausländische Vergleichsstudien. Der abgestrebte Wechsel von der Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung ist deshalb nicht nur als unethisch abzulehnen, sondern auch praktisch sinnlos.

Celsa Brunner

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