Unter Berufung auf das Toleranzgebot greift der säkuläre Staat immer tiefer in die Wertvorgaben religiöser Überzeugungen ein. Für bekennende Christen ist dies eine gefährliche Entwicklung.
In einigen Wochen naht die Adventszeit und schon jetzt müssen sich viele Lehrerinnen und Lehrer Gedanken machen, wie sie es auch dieses Jahr mit dem Singen von Weihnachtsliedern oder gar einem Weihnachtsspiel halten wollen. Solches ist nicht mehr – wie früher – selbstverständlich, sondern in unserer multikulturellen Gesellschaft zum Hochrisiko geworden.
Verschärft wurde die Tonlage diesen Sommer durch das Auftreten militanter Muslime. Im Baselbiet sorgte der einer Lehrerin verweigerte Händedruck durch streng gläubige Muslime für Aufregung. Inzwischen ist dort der Händedruck Pflicht. Auch beim Schwimmunterricht stellte das Bundesgericht 2008 die Integration über die Glaubensfreiheit. Demgegenüber entschied das Gericht letzten Dezember, dass eine Schule das Tragen des Kopftuchs nicht grundsätzlich verbieten darf.
Auch das Kruzifix stand mehrfach zur Diskussion: 1990 hielt das Bundesgericht fest, dass ein Kruzifix im Schulzimmer gegen die religiöse Neutralität der öffentlichen Schule verstösst. Kaum zu Diskussionen führt demgegenüber die jüdische Sabbatruhe. Es gilt offenbar als problemlos, dass jüdische Kinder am Samstag nicht mitschreiben und keine Prüfungen absolvieren müssen.
Verbot der Tragens religiöser Symbole
Auch das Tragen religiöser Symbole wird immer stärker in Frage gestellt. Paradefall ist die Gemeinde Adliswil, die diesen Sommer ein neues Reglement annahm, womit öffentlichen Angestellten das sichtbare Tragen religiöser Symbole untersagt werden kann. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich die Tendenz durchsetzen wird, das Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit auch für Privatpersonen zu verbieten, weil solches im säkulären Staat als Provokation aufgefasst wird.
So stellt sich denn wieder einmal die grundsätzliche Frage, wie es der säkuläre Staat denn eigentlich mit der Religionsfreiheit hält. Manchmal bekommt man nämlich den Eindruck, dass nur noch atheistische und agnostische Bekenntnisse geschützt seien.
Verhängnisvoller Toleranzbegriff
Einen grossen Stellenwert hat in der heutigen agnostischen Gesellschaft die „Toleranz“.
In seiner Botschaft zur Eröffnung der Olympischen Spiele bekundete der Papst, die Welt dürste «nach Frieden, Toleranz und Versöhnung». Und auch die UNESCO, die der Zeit natürlich immer etwas voraus ist, verabschiedete bereits 1995 eine «Erklärung von Prinzipien der Toleranz». Demnach soll Toleranz als Universalwert gelten, als «nicht nur hochgeschätztes Prinzip, sondern als notwendige Voraussetzung für den Frieden und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung aller Völker».
Nach Massgabe der UNESCO ist Toleranz also geradezu ein Heil- und Wundermittel im mitmenschlichen Umgang. Entsprechend pathetisch klingt die einschlägige Definition: «Toleranz bedeutet Respekt, Akzeptanz und Anerkennung der Kulturen unserer Welt, unserer Ausdrucksformen und Gestaltungsweisen unseres Menschseins in all ihrem Reichtum und ihrer Vielfalt. [. . .] Toleranz ist Harmonie über Unterschiede hinweg. Sie ist nicht nur moralische Verpflichtung, sondern auch eine politische und rechtliche Notwendigkeit. Toleranz ist eine Tugend, die den Frieden ermöglicht, und trägt dazu bei, den Kult des Krieges durch eine Kultur des Friedens zu überwinden.»
Toleranz als neue Religion der Multikulti-Gesellschaft
Galt früher der Toleranzbegriff als Tolerierung einer fremden religiösen Minderheit in einer religiös an sich homogenen Gesellschaft, so ist Toleranz heute faktisch zur „säkulären Religion“ der Multikulti-Gesellschaft aufgestiegen.
Jede Religion beansprucht mit ihrem Erlösungsgedanken – und den haben alle Religionen – einen Absolutheitsanspruch. Und dieser natürliche Absolutheitsanspruch widerspricht dem säkulären Toleranzmodell, denn dieses basiert auf der Annahme, dass in der „Zivilgesellschaft“ die religiösen Bekenntnisse gewissermassen durch multikulturelle „zivile“ Werte ersetzt worden seien. Verbindliche religiöse Werte wirken da störend.
An die Stelle religiöser Überzeugungen einer Bevölkerungsmehrheit träte somit gewissermassen eine „Zivilreligion“. Die Bemühungen der sog. Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, unsere Nationalhymne „von religiösem Ballast zu säubern“ und stattdessen eine „an der Verfassung orientierte Hymne“ zu schaffen, machen vor diesem Hintergrund deshalb durchaus Sinn.
Religionsfreiheit als „Schutz vor Religion“?
Öffentlich gelebte Religiosität wirkt demgegenüber störend. Mit ihrem Erlösungsanspruch, ihren Wert- und Moralvorgaben kollidiert das religiöse Bekenntnis mit dem permissiven liberalen Mainstream. Alles was aus religiösen Gründen verbindliche Werte vorschreibt, stört die Zivilreligion des Toleranzmodells und wirkt verdächtig. Vom Staat mitfinanzierte „Sektenbeauftragte“ werden eingesetzt, um freikirchliche christliche Gruppierungen zu identifizieren und auszugrenzen. In den öffentlichen Medien und den Mainstream-Blättern finden sie willige Partner.
So kommt es denn zu einer seltsamen Umdeutung der Religionsfreit. Ursprünglich war diese dafür gedacht, religiöse Minderheiten zu schützen. Heute ist es gerade umgekehrt: Religionsfreiheit wird als Freiheit vonReligion verstanden. Geschützt wird damit – auch rechtlich – die vorherrschende, agnostische und atheistische „Zivilreligion“. Und geschützt werden soll diese „Zivilreligion” vor den religiösen Bekenntnissen, die mit ihren verbindlichen Wert- und Moralvorgaben das Alles-ist-erlaubt des „Toleranzmodells“ stören.
Zwiespältiger Kampf gegen die Islamisierung
Der berechtigte Kampf gegen die Burka und andere muslimische Kleidungs- unrr�(q �jhr r@ re Abendland wird durch die massive muslimische Zuwanderung und die muslimische Präsenz nachhaltig verändert und das ist nicht gut. Gleichzeitig jedoch darf nicht übersehen werden, dass der Kampf gegen die Islamisierung Europas nicht von christlichen Kräften geführt wird, sondern von Leuten, die ein atheistisches Weltbild vertreten. Das bekennende Christentum stört diese Vertreter des liberal-atheistischen Mainstreams genauso, wie der Islam. Darüber sollte man sich keine Illusionen machen.
Droht eine neue Verfolgungssituation?
So gilt es denn vorsichtig zu sein: Jene „liberalen“ Kräfte, die heute den hiesigen Muslimen unter Berufung auf die „Zivilreligion“ Vorschriften machen, werden – unter Berufung auf die Toleranzforderung – genau dieselben Vorschriften anschliessend auch gegen christliche Gemeinden zur Anwendung bringen. Das etablierte Staatskirchentum wird hiervon zwar nicht betroffen sein. Sehr wohl betroffen sein könnten jedoch die einzelnen Christen, die ihr Bekenntnis auch in der Öffentlichkeit leben möchten. Und für sie ist nicht auszu-schliessen, dass es zur einer echten Verfolgungssituation kommen wird.
Celsa Brunner