Mitte Dezember hat das Parlament einen Kompromissvorschlag des Bundesrates zur Beseitigung der «Heiratsstrafe» abgelehnt. Die CVP will ihre Initiative zurückziehen und verweigert dem Volk damit die Möglichkeit, die Abstimmung vom Februar 2016 nochmals zu wiederholen.
Ehepaare werden gegenüber den Konkubinatspaaren bei den direkten Bundessteuern massiv benachteiligt. Die CVP reichte deshalb 2014 eine Volksinitiative zur Beseitigung dieser Diskriminierung ein. Auch seitens unserer Arbeitsgruppe «Jugend und Familie» haben wir die Initiative unterstützt.
Manipulierte Volksabstimmung
Leider wurde diese am 28. Februar 2016 mit 50,8% an der Urne knapp verworfen. Grund war, dass die Bundesverwaltung die Zahlen vorab schamlos manipuliert und behauptet hatte, bloss 80’000 – statt effektiv 454’000 – Doppelverdiener-Ehepaare seien gegenüber Konkubinatspaaren benachteiligt. Inklusive Rentner erhöht sich die Gesamtzahl gar auf 704’000 betroffene Ehepaare. Betrachtet man nur jene Haushalte, die überhaupt Bundessteuer bezahlen, so sind 70% aller Doppelverdiener- und Rentnerehepaare Opfer der Heiratsstrafe: Sie zahlen mindestens 10% mehr Steuern, nur weil sie verheiratet sind.
Aufhebung durch das Bundesgericht
Wären die korrekten Zahlen bekannt gewesen, so wäre der Volksentscheid von 2016 anders ausgegangen. Das Bundesgericht hob deshalb die Abstimmung am 10. April 2019 auf – ein erstmaliger Vorgang in der Geschichte der Eidgenossenschaft. Offen liess es jedoch, ob der Abstimmungstext unverändert neu vorgelegt werden muss.
Hindernis gegen die Homo-Ehe
Die CVP-Initiative enthielt nämlich eine Definition der Ehe als «auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau». Mit einer dieser Formulierung in die Verfassung würde eine Einführung der Homoehe stark erschwert. Dies möchten Linke – und die CVP selbst, welche die Homoehe inzwischen befürwortet – unbedingt vermeiden.
Die CVP hoffte deshalb, dass das Parlament einen bundesrätlichen Gegenvorschlag gutheissen und damit einen gesichtswahrenden Rückzug der Initiative ermöglichen würde. Daraus wird nun jedoch nichts.
Parlament gegen Bundesrats-Variante
Bereits letzten Herbst lehnte der Ständerat einen Lösungsvorschlag des Bundesrates ab. Dieser sah eine sog. Schattenrechnung vor, wonach Ehepaare zwar weiter gemeinsam besteuert, aber die Behörden gleichzeitig eine Schattenrechnung auf Basis einer vereinfachten Individualbesteuerung vornehmen würden. Belastet würde der im Vergleich tiefere Betrag (Schattenrechnung). Damit wären fast alle Fälle der Heiratsstrafe beseitigt.
Am 18. Dezember 2019 lehnte auch der Nationalrat den Bundesratsvorschlag mit 113 zu 80 Stimmen ab. Den Ausschlag gab eine Mehrheit aus Linken und Liberalen, die alle lieber die Individualbesteuerung hätten. Aus ihrer Sicht gibt es nämlich nur das Individuum und den Staat – die Familie als Wirtschaftsgemeinschaft wird ausgeblendet. Grüne, SP und FDP nehmen damit bewusst in Kauf, dass die steuerliche Benachteiligung aller Verheirateten weiter andauert.
Neue Volksabstimmung nötig!
Gleichzeitig schien jedoch die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Volksabstimmung zu wachsen. Der CVP droht nämlich bei einem Rückzug der Initiative ohne Gegenvorschlag nicht nur ein Gesichtsverlust – sie kann ihre Initiative auch rechtlich nicht einfach zurückziehen. Der Verein «Human Life» hat bei der Zürcher Rechtsprofessorin Isabelle Häner ein Gutachten zu dieser Frage in Auftrag gegeben.
Dieses kommt zum Schluss, dass die Initiative dem Volk «direkt zur Wiederholungsabstimmung vorgelegt werden muss, da für ein anderweitiges Vorgehen keine gesetzliche Grundlage besteht». Eine rasche Wiederholungsabstimmung sei für die Wiederherstellung des Vertrauens in die Demokratie und zur Verhinderung einer Verschleppung wichtig. Das öffentliche Interesse der Stimmbürger müsse deshalb Vorrang vor den Interessen des Initiativkomitees haben, weshalb auch ein Rückzug der Initiative nicht zulässig sei. Nach Aufhebung der ersten Abstimmung liege das Schicksal der Initiative nicht mehr in den Händen der Initianten, da es nun darum gehe, das Vertrauen in die Institutionen wiederherzustellen.
HLI-Schweiz will deshalb gemäss Medienmitteilung vom 7. Januar 2020 beim Bundesgericht eine Stimmrechtsbeschwerde gegen einen Rückzug der Initiative einlegen. Zu begründen wäre diese nicht nur mit einer Verletzung der politischen Rechte, sondern auch mit der Notwendigkeit einer unverfälschten Wiederholung der Abstimmung vom Februar 2016.
Heuschlerische CVP
Nach dem Nationalratsentscheid vom 18. Dezember kritisierten CVP-Vertreter zu Recht die Linken und Liberalen wegen «Arbeitsverweigerung» (Nationalrat Markus Ritter). Das Initiativkomitee muss gemäss Bundesrat bis Mai 2020 entscheiden. Der Urnengang fände spätestens im September 2020 statt. Die Erfolgschancen einer neuen Abstimmung wären an sich durchaus intakt!
Die CVP setzt allerdings lieber ihren heuchlerischen Kurs fort und will die Initiative zurückziehen. Stattdessen will sie eine neue Initiative ohne Ehe-Definition starten. Dieses Vorgehen ist ein Schlag ins Gesicht all jener Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, welche die Initiative eben gerade wegen der Ehedefinition unterschrieben haben. Mit dem Rückzug der Initiative, deren Wiederholung vom Bundesgericht implizit vorgeschrieben wurde, rollt die CVP der Homoehe gewissermassen den roten Teppich aus. Daran erkennt man, wie weit diese ehemals christlich-konservative Partei inzwischen in die Beliebigkeit abgedriftet ist.
Celsa Brunner