Die Covid-Pandemie rüttelt an den Grundlagen unserer «alles ist erlaubt»-Gesellschaft. Plötzlich stellt sich die Frage, ob wir mit dem permissiven Weltbild nicht auf einem Abweg sind. Die Krise böte eine Chance zu Umkehr und Bekehrung.
Fliessbänder stehen still. Die Geschäfte sind zu. Kinos geschlossen. Die Züge praktisch leer. Keine Flugzeuge mehr am Himmel. Keine Osterferien in Phuket. Kein kurzer Shopping-Trip nach London.
Mitte März kam die westlich-hedonistische Spassgesellschaft zum ziemlich abrupten Stillstand. Auch wenn die Wirtschaft jetzt langsam wieder hochgefahren wird, sind die volkswirtschaftlichen Kosten der Covid-Pandemie riesig. Auf bis zu 200 Milliarden Franken werden die Einbussen allein bei uns geschätzt.
Verletzliche Strukturen
Die Pandemie traf auf eine Gesellschaft, die meinte, alles im Griff zu haben. Statt alles steuern und kontrollieren zu können, fanden sich die Menschen plötzlich in einer tiefen Verunsicherung. Mit Überraschung bemerkten sie, dass die globalen Netze fragil sind, dass internationale Liefer- und Absatzketten leicht zerreissen, dass es Kräfte gibt, die sich der vermeintlichen Allmacht des Menschen entziehen.
Der sogenannt liberal-aufgeklärte Mensch hat es sich über die letzten Jahre angewöhnt, Gott zu spielen. Ausgerechnet in China – dem Ursprungsland der Covid-Pandemie – wurden im November 2018 erstmals Menschen geklont. Das Erbgut der zwei Babys wurde mit der «Genschere» CRISPR/Cas9 künstlich verändert.
Der Fluch des Liberalismus
Nicht nur in der Gentechnologie, sondern auch bei der künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) masst sich der Mensch an, über das Leben zu verfügen. Dieses wird beliebig schaffbar, machbar, veränderbar.
Hinzu kommt ein weiteres Element: Es wird nicht nur alles machbar – es wird auch alles käuflich. Der Kauf eines Frauenkörpers beschränkt sich längst nicht mehr aufs Sexgeschäft. Auch bei der Leihmutterschaft wird ein Frauenkörper als Brutmaschine gekauft – wohlverstanden: um schwulen Paaren ein Kind zu ermöglichen. Alles hat seinen Preis. Und die Würde des Menschen bleibt dabei auf der Strecke.
Der von allen ethischen Schranken gelöste Voluntarismus des modern-liberalen Menschen findet seinen letzten Ausdruck darin, dass das Leben selbst zur Ware wird. Dies zeigt sich beim Beginn des Lebens, wo Behinderte kurzerhand selektioniert und vorgeburtlich liquidiert werden. Sie sind «zu teuer» – eine «zu grosse Bürde» für Eltern und Gesellschaft.
Ausgerechnet in der Coronakrise begann zudem eine Debatte über den Wert des alten, kranken Menschenlebens. In zuckersüssen Worten umschrieb die «Neue Zürcher Zeitung» am 11. April: «Genauso wie ein lebensverlängerndes Medikament nicht jeden Preis rechtfertigt, sollte auch die Lebensverlängerung schwerkranker Corona-Patienten ein zwar wichtiges, aber nicht das einzig bestimmende Ziel sein. Es gilt, eine Balance zu finden zwischen optimaler medizinischer Hilfe und den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schäden.»
Oder einfacher: Lebenserhaltende Massnahmen für alte und kranke Menschen sind oft schlicht «zu teuer». Es «lohnt sich nicht mehr», sie durchzubringen.
Die «Kosten» eines Menschenlebens
So ging es denn plötzlich nicht mehr um die Rettung von Menschenleben, sondern um das Zählen noch verbleibender Jahre. Dem entsprach, dass die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) am 20. März 2020 Richtlinien zur «Triage von intensivmedizinischen Behandlungen bei Ressourcenknappheit» erliess. Da wurde das Alter zum entscheidenden Kriterium für die Zulassung in die Intensivstation.
Auch in den Medien begann das Thema «Senizid» – das gezielte Sterbenlassen alter und kranker Menschen – herumzugeistern. Soll man wirklich der ganzen Gesellschaft einen Lockdown vorschreiben, «bloss um ein paar Alte zu retten»? Soll man diese nicht besser ohne Intensivstation gleich in den Pflegeheimen sterben lassen?Solche Fragen hätte sich punkto Aids keiner erlaubt. Nach Kosten durfte damals nicht gefragt werden. Im Gegenteil: Die ganze Welt zeigte sich «solidarisch» mit den HIV-Kranken – auch wenn diese (im Unterschied zu Corona) die Krankheit mit ihrem Lebenswandelt oft selbst zu verantworten hatten.
Es darf deshalb nicht sein, dass jetzt mit dem Coronavirus durch die Hintertür der Senizid legitimiert wird. Der Schutz der alten Generation – unsere Eltern und Grosseltern, denen wir alle so viel verdanken – muss Priorität haben.
Krise als Chance!
Statt einem Generalangriff auf ältere und verwundbare Bevölkerungsgruppen würde unsere Wegwerfgesellschaft besser Innehalten und die Krise als Chance begreifen. Sie wäre eine Chance, sich – jenseits von Konsum und Kommerz – wieder auf grundlegende Werte wie Treue, Bescheidenheit, aufopferungsvolle Hingabe und Barmherzigkeit (ein altmodischer Begriff) zu besinnen. Statt schrankenlosem Konsum wären wieder Selbstbeschränkung und Verzicht gefragt.
So könnte die Krise ein Weckruf sein, sich wieder an den Vorgaben der natürlichen Moral und Sittlichkeit zu orientieren: Nicht alles, was möglich ist, ist auch ethisch gut und erlaubt. Damit würde auch das Recht auf Leben der menschlichen Verfügbarkeit entzogen und wieder in die Hand Gottes gelegt. Solches wäre eine wirklich heilsame Gesundung unserer kranken Gesellschaft.
Und schliesslich wäre die Krise auch eine Gelegenheit, wieder beten zu lernen: Achtung vor dem Schöpfer anstelle vermeintlicher menschlicher Allmacht. Celsa Brunner