Mit den umstrittenen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) kommt es für Familien oft zu schwierigen Situationen. Auch Einzelpersonen sind durch kostspielige bürokratische Auswüchse manchmal gefährdet.
Bei unserer Hilfe für Familien in Not haben wir regelmässig Fälle, wo Familien unter Druck der Kesb geraten – so etwa wenn eine «Gefährdungsmeldung» erfolgt, Eltern einer kinderreichen Familie könnten ihre Kinderschar nicht mehr «bewältigen». Oder wenn Eltern jahrelang liebevoll ein behindertes Kind betreut haben und dann plötzlich die Kesb eingreift.
Kurzer Rückblick
2006 legte der Bundesrat eine Botschaft zur Änderung des Zivilgesetzbuches im Bereich «Erwachsenenschutz, Personenschutz und Kindesrecht» vor. Nachdem sich das Parlament damit befasst hatte, ersetzte ab 1. Januar 2013 die neue Kindes- und Erwachsenenschutzgesetzgebung das traditionelle Vormundschaftsrecht. Die Organisationskompetenz blieb grundsätzlich bei den Kantonen. Allerdings schrieb der Bund vor, dass Entscheide im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht nicht mehr durch die Sozialstellen der Gemeinden, sondern durch eine Fachbehörde, die «Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden» (Kesb), zu treffen sind.
Ferne Bürokratie
Ein erstes Problem entstand dadurch, dass die Nähe zum Fall verloren ging. Etwa im Kt. St.Gallen wurden die Vormundschaftsbehörden in neun Grossregionen zusammengefasst. Für das entfernte Obertoggenburg war nun plötzlich eine Sozialarbeiterin in Bütschwil zuständig. Dies führt oft zu einer Entfremdung der Betroffenen von den Behörden.
Zudem brachte die Revision massive materielle Änderungen. So hielt das alte Recht fest: «Sprechen keine wichtigen Gründe dagegen, so hat die Behörde einem tauglichen nahen Verwandten oder dem Ehegatten des zu Bevormundenden bei der Wahl den Vorzug zu geben, unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der Nähe des Wohnsitzes» (alter Art. 380 ZGB). Damit waren sinnvollerweise automatisch die nächsten Verwandten ersten Grades (Eltern, Kinder) oder zweiten Grades (Geschwister, Grosseltern, Enkel) für die Vertretungsbeistandschaft zuständig. Dies galt bloss nicht, wenn die Behörden nachweisen konnten, dass wichtige Gründe dagegen sprachen.
Beweislastumkehr
Mit dem neuen Recht erfolgte eine eigentliche Beweislastumkehr: Heute sind faktisch nicht mehr die nächsten Verwandten für die Interessenvertretung einer urteilsunfähigen Person zuständig, sondern zuerst einmal die Kesb. Zwar können taugliche Verwandte nach wie vor als Beistände eingesetzt werden, aber die Kesb ist hierzu nicht verpflichtet. Die nächsten Verwandten sind nur noch dann unmittelbar und umfassend zuständig, wenn die hilfsbedürftige Person dies in einem Vorsorgeauftrag explizit so bestimmt hat.
Kesb über dem Vorsorgeauftrag?
Aber selbst ein Vorsorgeauftrag bietet keine Gewähr, dass dieser Wille tatsächlich gewahrt wird. Wie der Bundesrat kürzlich auf eine Anfrage von Nationalrat Kurt Fluri (FDP/SO) festhielt, muss gemäss Art. 363 Abs.2 ZGB ein Vorsorgeauftrag von der Kesb validiert werden. Konkret beinhaltet dies eine Prüfung der Frage, ob «die beauftragte Person für ihre Aufgaben gerr�(q �jhr r@ retzt, sieht sich deshalb mit der geradezu widersinnigen Situation konfrontiert, dass genau jene Kesb ein Veto einlegen kann und selber aktiv wird.
Wer sich bestmöglich gegen die Kesb schützen will, sollte trotzdem unbedingt einen «Vorsorgeauftrag mit Generalvollmacht» ausfertigen. Dieser ist – wie ein Testament – handschriftlich zu verfassen oder notariell zu beurkunden. Diese Dringlichkeit eines Vorsorgeauftrags gilt auch für Ehegatten. Das gemäss Art.374 Abs. 2 gesetzlich vorgesehene Vertretungsrecht ist nämlich sehr beschränkt (Öffnen der Post, Verwaltung laufender Unterhalt, Einkommen, usw.). Für jede andere «ausserordentliche Vermögensverwaltung» (etwa Verkauf des gemeinsamen Hauses) muss die Kesb zustimmen, wenn nicht im Vorsorgeauftrag explizit das Gegenteil bestimmt wird.
Anonyme Gefährdungsmeldungen
Ein besonderes Problem im Kindesschutz liegt darin, dass Gefährdungsmeldungen anonym deponiert werden können. Auch missbräuchliche Meldungen nicht strafbar. Und selbst wenn die Kesb die meldende Person kennt, muss sie diese der betroffenen Familie nicht bekanntgeben. Das bringt oft enorme Hilflosigkeit und Ungewissheit.
Zudem haben die Eidg. Räte in der Wintersession 2017 die Meldepflicht noch verschärft. Unterstanden bisher nur Personen in amtlicher Tätigkeit (Lehrer, Sozialarbeiter) der Meldepflicht, so müssen bei «konkreten Hinweisen» neu alle Fachpersonen eine Meldung machen, die beruflich mit Kindern Kontakt haben.
Gemäss Art. 307 ZGB trifft die Kesb Massnahmen, sofern «das Wohl des Kindes gefährdet» ist und die «Eltern nicht von sich aus für Abhilfe» sorgen. Das «Kindswohl» ist jedoch nirgends definiert und kann sehr weit ausgelegt werden. Die Fachliteratur beispielsweise meint damit: «…die für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen ‘ungünstige’ Relation zwischen seiner Bedürfnislage und seinen Lebensbedingungen.“ (Henkel, N 2 zu Art. 389 ZGB)
Sofort reagieren!
Ungerechtfertigt von einer «Gefährdungsmeldung» Betroffene sollten sich unbedingt sofort wehren und einen Anwalt nehmen. Die Kosten sind in diesem Stadium tiefer als später im Verfahren. Der Kesb ist sofort zu antworten:
1. Dass die Gefährdungsmeldung offensichtlich haltlos, verleumderisch, denunzierend und ehrverletzend ist.
2. Forderung um Zustellung der vollständigen Akten (inkl. Gefährdungsmeldung).
3. Hinweis, dass eine Strafanzeige eingereicht wird.
Hohe Kosten
Anders als früher werden heute Leistungen der Behörden zum Gebührentarif verrechnet. Dies überschreiten die effektiven Kosten oft bei weitem.
Wer mit der Kesb zu tun hat (auch anonyme Gefährdungsmeldung) muss sich deshalb auf eine happige Rechnung vorbereiten. Etwa im Kt. Zürich liegen die Gebühren zwischen 200 und 10’000 Franken pro Verfahren. In besonderen Fällen können die Gebühren verdoppelt oder darauf verzichtet werden. Besonders in Rechnung gestellt werden Drittleistungen wie Berufsbeistände. Wenn man sich vor Augen hält, dass die Kesb 2016 allein 42’767 Kindsschutzmassnahmen aussprachen (nebst dem Erwachsenenschutz), so werden die wirtschaftlichen Dimensionen der Sozialindustrie rasch ersichtlich. Als Branchenlobby dient übrigens die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (Kokes).
Politische Optionen
Den seit 2013 etablierten Kesb-Apparat wird man nicht mehr rückgängig machen können. Auch das Parlament scheint nicht willens, die Sozialbürokratie auf ein vernünftiges Mass zurückzubinden. Demgegenüber bietet sich die Möglichkeit einer Volksinitiative und einer Korrektur an der Urne an.
Celsa Brunner