Mit der bundesgerichtlichen Annullierung der Abstimmung zur Heiratsstrafe ist die Frage einer Ehedefinition in der Verfassung wieder auf dem Tisch. Entsprechend laufen bereits Bestrebungen, eine neue Volksabstimmung zu verhindern.
Blicken wir kurz zurück: Am 28. Februar 2016 lehnte das Stimmvolk mit 50,8% ganz knapp die Initiative gegen die Heiratsstrafe ab. Mit der Initiative sollte in der Verfassung (neuer Art.14 Abs.2) niedergeschrieben werden:
- Dass die Ehe eine «auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» ist, sowie
- dass Ehepartner «in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschaftsgemeinschaft» sind, die «gegenüber anderen Lebensformen nicht benachteiligt werden» darf.
Manipulative Behördenpropaganda
Viele von uns sammelten damals Unterschriften für die CVP-Initiative und waren entsprechend enttäuscht über das knappe Resultat. Wie sich später zeigte, waren jedoch die Zahlen, welche der Abstimmung zugrunde lagen, von der Bundesverwaltung schamlos manipuliert worden.
So hiess es, dass lediglich rund 80’000 Doppelverdiener-Ehepaare gegenüber unverheirateten Paaren steuerlich benachteiligt würden. Diese Zahl wurde auch in der politischen Auseinandersetzung und in den Medien immer wieder genannt. Im Sommer 2018 korrigierte der Bundesrat schliesslich, dass statt 80’000 über 450’000 Doppelverdiener-Ehepaare von der Heiratsstrafe betroffen sind. Wären diese Zahlen bekannt gewesen, so wäre die Abstimmung anders ausgegangen.
Bundesgericht annulliert Abstimmung
Das Bundesgericht entschied deshalb am 10. April 2019, die Abstimmung vom 28. Februar 2018 zu annullieren. Dabei handelte es sich um einen in der Geschichte der Eidgenossenschaft erstmaligen Fall. Den Stimmbürgern seien wichtige Informationen vorenthalten worden und eine korrekte und objektive Meinungsbildung nicht möglich gewesen. Allerdings legte das Bundesgericht leider nicht fest, ob und mit welchem Text die Abstimmung zu wiederholen sei. Dies ist bedauerlich.
In der Folge begann sofort ein Gezerre, statt die Abstimmung einfach zu wiederholen, den vorgesehenen Verfassungstext nochmals ins Parlament zu bringen. Hintergedanke des Manövers ist, den Passus «Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» zu streichen.
Kritik der Homo-Organisationen
Tatsächlich stiess das Bundesgerichtsurteil bei den Homo-Organisationen auf heftige Kritik. Wäre die neue Bestimmung am 28. Februar 2916 angenommen worden, so hätten wir jetzt nämlich eine Bestimmung in der Verfassung, welche die Ehe klipp und klar als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau definiert. Verunmöglicht würde damit auch eine «Ehe für alle» auf Gesetzesstufe. Roman Heggli, Geschäftsführer von «Pink Cross» (Dachverband homosexueller Männer) zeigte sich im Tages-Anzeiger vom 12. April denn auch sichtlich verärgert.
Bundesjuristen favorisieren demgegenüber offenbar ganz einfach eine Wiederholung der Abstimmung vom 28. Februar 2016 mit demselben Text. Eine solche würde wahrscheinlich am 9. Februar 2020 erfolgen – zusammen mit der Abstimmung über die Ausweitung der Antirassismus-Strafnorm auf Diskriminierung aus Gründen der «sexuellen Orientierung».
Obskure Manöver im Parlament
Im Parlament formiert sich jedoch Widerstand. Nicht zuletzt der CVP ist die Sache peinlich. Sie setzt sich im Vorfeld der Nationalratswahlen vom Herbst eifrig für gleichgeschlechtliche Paare ein – da liegt eine CVP-Initiative mit einer klaren Ehedefinition quer in der Landschaft.
CVP-Parteichef Gerhard Pfister meinte in der «Samstagsrundschau» von Radio DRS vom 13. April, eine direkte Abstimmung wäre ein Problem. Das Parlament müsse Gelegenheit haben, mit den richtigen Zahlen alles nochmals überdenken. Allerdings sah er für die Verfassungsbestimmung auch mit einer Ehedefinition ein Mehrheitspotential. Kryptischer äussern sich andere CVP-Exponenten. «Die Frage, wem die Ehe offenstehen soll, muss nicht unbedingt im steuerlichen Kontext geklärt werden», meinte etwa der biegsame Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler am 12. April im Zürcher Tages-Anzeiger.
Rückzug der CVP-Initiative?
Inzwischen befasste sich am 3. Mai auch die von Pirmin Bischof (CVP/SO) präsidierte ständerätliche Wirtschaftskommission mit dem Thema. Gemäss Pressemitteilung liess sie sich von Bundespräsident Ueli Maurer einen Überblick geben und «legt Wert darauf, dass eine gründliche Aufarbeitung stattfindet und klare Entscheidgrundlagen für die weiteren Arbeiten vorliegen.» Entscheide will die Kommission im August fällen.
Explizit zur Sprache kam auch die Option von Gegenvorschlägen zur CVP-Initiative. Solche sind gewissermassen schon aufgegleist, denn in der Wirtschaftskommission des Ständerats sind bereits mehrere Vorlagen zur Abschaffung der «Heiratsstrafe» hängig – darunter auch die Individualbesteuerung. Der Bundesrat könnte eine Art Zusatzbotschaft verfassen, in der er darlegt, wie eine dieser Vorlagen zu einem indirekten Gegenvorschlag zur CVP-Initiative ausgebaut werden kann. Fände dieser Gegenvorschlag im Parlament dann eine Mehrheit, so könnte die CVP ihre Initiative zurückziehen. Dann fände gar keine Abstimmung mehr statt (wie vom Bundesgericht gefordert), ausser jemand ergreift das Referendum gegen den Gegenvorschlag.
Ehedefinition muss bleiben!
Nicht nur die CVP, sondern auch alle Mitte-/Linksparteien haben ein Interesse, dass es nicht zu einer erneuten Abstimmung über die CVP-Initiative «Abschaffung der Heiratsstrafe» kombiniert mit einer Ehedefinition kommt. Die Gefahr der Annahme einer klaren Ehedefinition in der Verfassung ist für sie unerwünscht und zu gross.
Vorerst ist die schriftliche Begründung des Bundesgerichtsurteils abzuwarten. Dem Vernehmen nach soll sie bald vorliegen und dem Bundesrat noch vor den Sommerferien einen Entscheid zum weiteren Vorgehen ermöglichen. Er ist dabei frei und könnte sich auch für eine reine Wiederholung der Abstimmung aussprechen. Nach der Diskussion in der ständerätlichen Wirtschaftskommission ist damit allerdings kaum zu rechnen. Letztlich dienen all diese Manöver dem Ziel, die «Ehe für alle» nicht zu gefährden.
Mögliche Handlungswege
Viele unserer Mitglieder und Freunde haben die CVP-Initiative seinerzeit aus dem Grund unterstützt, weil diese eine klare Ehedefinition enthielt. Eine schlichte, vom Text her unveränderte Neuansetzung der früheren Abstimmung ist deshalb die einzig legitime Korrektur der früheren Desinformation der Bundesverwaltung.
Eine Umgehung des Bundesgerichtsurteils und das Vermeiden einer neuen Abstimmung wäre ein offener Betrug an den Rechten der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Es gibt verschiedene Möglichkeiten hierauf zu reagieren. Sollte die CVP-Initiative tatsächlich aufgrund eines Gegenvorschlags ohne Ehedefinition zurückgezogen werden, so müssten wir hiergegen sofort das Referendum ergreifen.
Zu erwägen wäre als Notlösung auch der Neustart einer Volksinitiative mit genau demselben Text, den die ursprüngliche CVP-Initiative hatte…
Celsa Brunner