Der schleichende Zerfall der öffentlichen Schulen

Instinktiv fällt vielen Eltern auf, dass an den staatlichen Schulen manches nicht mehr stimmt. Eines steht fest: Schuld an den Missständen sind nicht die Lehrerinnen und Lehrer!

Die Schweiz steckt immer mehr Geld ins Bildungswesen. Trotzdem sinkt der Lernerfolg radikal: 25% der 15-Jährigen können nur noch ungenügend lesen. Jeder vierte Schulabsolvent ist nach neun (!) Schuljahren nicht imstande, einem einfachen Text alltagsrelevante Informationen zu entnehmen. Konkret: Er vermag das Geschriebene zwar zu entziffern, versteht aber das Gelesene im Gesamtkontext nicht. Dies ist nur eines der vielen erschreckenden Resultate der Pisa-Studien.

Leiden an der Volksschule

Von 2000 bis 2021 stiegen die Bildungsausgaben von 4,8% auf 5,6% des BIP. Rund 22’800 Franken werden mittlerweile durchschnittlich pro Schüler/Jahr an der obligatorischen Schule ausgegeben und über 31’000 Franken auf der Tertiärstufe. Über 41,3 Milliarden haben Bund, Kantone und Gemeinden im Jahr 2021 für Bildungszwecke aufgewendet, d.h. volle 17,7% der öffentlichen Ausgaben.

Bei der Bildung dürfe man keinesfalls sparen, hiess es jahrelang. Und so stellte Gemeinde um Gemeinde Luxusschulhäuser auf, während der Lernerfolg ständig sank. Der heutige Zustand ist erschreckend. Über 35% der Schülerinnen und Schüler benötigen Nachhilfeunterricht. Das Bildungswesen degeneriert zur Spielwiese praxisferner Bürokraten, von denen die manche seit Jahren kein Schulzimmer mehr gesehen haben. Sie produzieren eine Schulreform nach der anderen und je schlechter es läuft, umso mehr fühlen sie sich hierzu berufen.

Aufräumen des Lehrplans 21

Gegenwärtig laufen die Aufräumarbeiten zum verunglückten Lehrplan 21. Das 370-seitige Werk ersetzte Lerninhalte durch «Kompetenzen». Bildungsziel ist nicht länger das Wissen, sondern die Kompetenz, sich Kompetenzen anzueignen. Konkret weiss deshalb eine Mehrheit von Schulabsolventen nicht mehr, ob die Reformation vor der französischen Revolution stattfand, oder umgekehrt.

Gleichzeitig wurde das «individualisierte Lernen» ausgebaut. Kinder sollen mit massgeschneiderten Lernprogrammen individuelle Lernziele erhalten und in ihrem eigenen Tempo vorankommen. Damit soll die Chancengerechtigkeit erhöht und möglichst vielen das Gymnasium ermöglicht werden.

Doch Aufwand und Ertrag stimmen einfach nicht überein. Der Verzicht auf kollektives Lernen macht die Schule nicht erfolgreicher. Direkte Instruktion im gemeinsamen Unterricht – als Frontalunterricht verunglimpft – erweist sich beim Basisstoff als viel effizienter als «selbstorganisiertes Lernen».

Herrschaft der Bildungsbürokraten

Die grösste Belastung für Regelklassen jedoch sind Schüler, die den Unterricht massiv stören. Bei der Abschaffung der Kleinklassen haben die Bildungsbürokraten den Betreuungsaufwand für «verhaltensauffällige» Schüler völlig unterschätzt. Es genügt bei weitem nicht, einem schwierigen Schüler drei Stunden pro Woche eine Heilpädagogin zuzuteilen und ihn sonst der Klassenlehrerin zu überlassen.

Die Auswirkungen des neuen Integrationsmodells sind oft verheerend. Einzelne Schüler bringen ganze Klassen durcheinander. Doch die «Experten» wollen nicht einsehen, dass der Scherbenhaufen allein mit Zusatzpersonal nicht zu kitten ist. Zudem wird den Lehrerinnen und Lehrern die Freude am Unterrichten genommen.

Demotivierung der Lehrer

Gefragt ist aber ohnehin nicht mehr die begeisterte Lehrerin, die durch sichtbare Führung den Unterricht prägt und Stoff vermittelt. Erwünscht sind vielmehr «Lernbegleiterinnen», die den Schülern «Lernlandschaften bereitstellen». So das bildungsbürokratische Ideal.

Die Probleme des öffentlichen Schulwesens sind ziemlich einfach ersichtlich: Im Vordergrund stehen der Lehrermangel und die vielen Wechsel, die integrative Schule, der überfrachtete Lehrplan 21, die akademisierte Lehrerausbildung in den pädagogischen Hochschulen und die wachsende Bürokratie. Doch statt hier anzusetzen, will eine kleine Gruppe nun eine «Bildungsrevolution» anstossen.

«Grundlegender Systemwandel»

So will ein «Netzwerk von engagierten Personen» an der Volksschule keinen Stein auf dem anderen lassen. Treibende Kräfte sind Funktionäre, Wissenschaftler und «Experten».

Beispielsweise Thomas Minder, Chef des Verbands Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH), will «mit den traditionellen Modellen aufräumen und die Selektion abschaffen». Künftig sollen Kinder und Jugendliche ihr Lernniveau selbst wählen und Noten werden beseitigt. Langzeitgymnasien soll es keine mehr geben. Damit werde «Bildungsgerechtigkeit» erzielt, meint er.

Oft stehen auch private wirtschaftliche Interessen dahinter. Beispielsweise die führende Rahel Tschopp mit ihrem Unternehmen «Denkreise» erarbeitet «Angebote für eine Kultur der Digitalität». Und Christian Müller von der Firma «Intrinsic» macht gutes Geld mit «Lernreisen, Impulse und Beratungen». Beide wollen die Schule «neu denken» – und natürlich an den Reformen gut verdienen. Müller faselt, dass «Schüler und Schülerinnen viel früher Verantwortung übernehmen und ihre Genialität individuell kultivieren» müssten. 

Widerstand an der Basis

Auf Widerstand stossen die grossartigen Pläne bei den Lehrerinnen und Lehrern an der Basis. Statt nach dem Pisa-Schock von 2000 die mangelnden Lesefähigkeiten anzugehen, habe man die Kinder zusätzlich belastet. Das umstrittene «Sprachbad» der Frühfremdsprachen weist vor allem beim Frühfranzösisch eine ernüchternde Bilanz auf. Und im Deutsch sind bei einem Fünftel der Schüler die Grundkenntnisse so rudimentär, dass Defizite nicht mehr korrigiert werden können. Verschiedene Lehrmittelreihen mit abenteuerlicher Sprachdidaktik mussten in mehreren Kantonen durch Bücher mit klaren Lernkonzepten ersetzt werden.

Für eine gute Schule braucht es fähige Lehrer mit einem methodisch-didaktisch gut gefüllten Rucksack. Und man muss den Kindern Zeit geben, um den Stoff zu vertiefen. Die Bildungsbürokratie schadet hierbei nur.

Claudia Kaufmann, «Jugend und Familie» Leiterin Hilfsstelle für Familien in Not

                                                                                                                     

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